Die Body-Positivity Bewegung trendet in den Sozialen Medien. Body-Positivity ist ein Gegenentwurf zu sozial etablierten Schönheitsidealen. Auch vor Tattoostudios und Tätowierern macht dieser Trend keinen Halt. Viele Tätowierer verweisen in ihrer Bio oder auf ihrem Profil auf ihre Body-positive Einstellung.
Warum wir der Bewegung nicht folgen, liest du in diesem Artikel.
Was ist Body-Positivity?
Body-Positivity steht konträr zu den gesellschaftlichen Schönheitsidealen mit denen wir aufgewachsen und sozialisiert wurden. Die Bewegung zeigt toxische und abwertende Strukturen in den Medien, der Werbung und in unserem Alltag auf, die uns stets nur schlanke, gesunde und makellose Körper präsentieren.
Im Rahmen eines body-positiven Haltung geht es darum, alle Körper in ihrer Unterschiedlichkeit wahrzunehmen und wertzuschätzen. Von der vermeintlichen Norm abweichende Körper sollen sichtbar gemacht werden mit dem Ziel, jedem Menschen zu vermitteln, dass der eigenen Körper wertvoll und liebenswert ist.
Sätze, die in diesem Zusammenhang immer wieder zu lesen oder hören sind:
„Jeder Körper ist schön.“
„Jeder Körper ist normal.“
„Jeder Körper ist liebenswert.“
„Jeder Körper verdient Respekt.“
Und auch folgende Affirmationen sind gängig:
„Liebe deinen Körper.“
„Sei deinem Körper dankbar für seine Leistung.“
„Ignoriere Bewertungen von anderen Menschen.“
„Du musst nichts an deinem Körper verändern.“
Umgang mit Körpern im Tattoostudio
Man kann sich leicht vorstellen, dass dieses Thema uns im Rahmen unserer täglichen Arbeit mit Körpern tangiert. Wir arbeiten jeden Tag mit und für Menschen und jeder Mensch bringt einen eigenen Körper und einen eigenen Blick auf denselben mit in unsere Arbeit.
Wir erleben hier wirklich alles. Von selbstbewussten Menschen, die sich ungefragt bis auf die Unterwäsche entkleidet haben, noch bevor wir die Fenstervorhänge zuziehen konnten, bis hin zu Kunden, die so verunsichert sind, dass man sie mit Engelszungen überreden muss, doch bitte das Shirt auszuziehen, weil man sonst nicht an die zu tätowierende Körperstelle kommt.
Da es auch kaum eine körperliche „Besonderheit“ oder „Abweichung von der Norm“ gibt, die wir noch nicht gesehen haben, ist der Umgang mit Körpern aller Art für uns Routine. In Routinen kann man leicht vergessen, dass nicht jeder Mensch die gleichen emotionalen Voraussetzungen mitbringt. Wir müssen uns regelmäßig daran erinnern und uns darauf sensibilisieren, dass nicht jeder Mensch das gleiche Maß an Selbstliebe mitbringt. Unsicherheiten und Unwohlsein seitens des Kunden können eine Tattoositzung zu einem unangenehmen Erlebnis werden lassen. Es ist die Pflicht eines jeden Tätowierers dem bestmöglich vorzubeugen.
Body-Positivity im Tattoostudio
In den sozialen Medien und den Profilen der Anhänger der Body-Positivity Bewegung im Tattoobusiness liest man Sätze, wie „Jeder Körper ist schön.“, oder „Jeder Körper darf tätowiert werden.“. Auch Versprechen dahingehend, dass man die körperlichen Voraussetzungen nicht ansprechen oder negativ kommentieren wird, sind zu lesen.
Ich denke, dass dieser Trend eine teilweise falsche Richtung einschlägt und möchte im Folgenden meine Haltung zu dem Thema erläutern.
Body-Neutrality, statt Body-Positivity
Wenn ich behaupte, dass jeder Körper schön ist, bin ich eine Lügnerin. In 15 Jahren Tätowieren habe ich unzählige Körper gesehen und da ich nur ein Mensch bin, finde ich nicht jeden Körper schön.
Das sollte meiner Ansicht nach auch keine Rolle spielen, denn:
Es ist nicht meine Aufgabe, deinen Körper nach Schönheit zu bewerten!
Meine Aufgabe ist es, dir ein Tattoo zu stechen, dass du schön findest und dass zu deinem eigenen Körper sehr gut passt. Dabei sollte es keine Rolle spielen, ob ich deinen Körper schön finde oder nicht. Streng genommen sollte es mir als Dienstleistern sogar egal sein, ob ich dein Tattoo schön finde oder nicht. Schönheit ist subjektiv! Wenn ich nur Tattoos stechen würde, die ich selber schön finde, hätte ich zu wenig Kunden. Meine Professionalität und meine Zuneigung zu Menschen ermöglicht es mir, ein Tattoo, das ich selbst nicht haben wollen würde in handwerklich präziser und gestalterisch ansprechender Ausführung auf einen Körper zu stechen, der mir vom Schönheitsaspekt nicht zu 100 % gefällt.
An diesem Punkt scheiden sich die Geister in der Tattoobranche. Viele Tätowierer möchten nur Tattoos stechen, die sie selber auch sehr schön finden oder tätowieren ausschließlich Wanna-Dos. Das ist absolut in Ordnung. Ich selbst habe jedoch für mich festgestellt, dass ich einfach gern für Menschen zeichne und tätowiere und dass die Freude meiner Kunden für mich eine höhere Motivation darstellt, als die Tatsache, dass ich täglich nur Bilder sehe, die ich selber schön finde.
Ich versuche, deinem Körper und deinem Tattoowunsch neutral gegenüber zu treten, aber:
Wir müssen über Körper sprechen!
Als professionelle Tätowiererin kann nicht versprechen, dass ich im Rahmen eines Tattootermins nicht über deine körperlichen Gegebenheiten sprechen werde, denn sie sind Teil meiner Arbeit.
Es ist eben nicht jeder Körper „normal“ (Was ist überhaupt normal?) Wir sehen alle unterschiedlich aus und haben alle andere körperliche Merkmale.
Folgende Punkte muss ich eventuell ansprechen, wenn wir dein Tattoo planen:
- Fettpölsterchen
- Krampfadern
- Muskulatur
- Falten
- Narben
- Muttermale
- Sommersprossen
- Pickel
- Hautfarbe
- Hauterkrankungen
- Belastung der Haut
- Wassereinlagerungen
Über deinen Körper zu sprechen, heißt nicht, ihn zu bewerten
Ich spreche die Merkmale deines Körpers nicht an, um dich zu verurteilen, deinen Körper zu bewerten, abzuwerten oder dich zu diskriminieren. Aus professioneller Sicht müssen diese Dinge gesehen und in die Planung einbezogen werden.
Eine Narbe muss beispielsweise mindestens zwei Jahre alt sein, um gefahrlos überstochen werden zu können. Fettpölsterchen vor allem an den Oberarmen können innenliegende Tattoos leicht verzerren. Muttermale dürfen nicht überstochen werden. Krampfadern stellen eventuell ein Gesundheitsrisiko dar und müssen eventuell entfernt werden, was das Tattoo optisch beeinträchtigen könnte. Pickel, die eine Eiterfüllung haben, können Eitererreger in dein Tattoo schleusen, was ernste Komplikationen in der Abheilung mit sich bringen kann. Diese Liste lässt sich noch weiterführen und soll dir zeigen, dass nicht jede Ansprache in Bezug auf einen Körper „Body Shaming“ mit sich bringt.
Body-Shaming
Leider hören wir auch immer wieder negative Geschichten, in denen Tätowierer ihre Kunden offensichtlich unprofessionell und verletzend behandelt haben. Körperformen werden abwertend kommentiert oder Tätowierer weigern sich aus ästhetischen Gründen bestimmte Körper zu tätowieren. Das finde ich absolut unentschuldbar und beschämenswert.
Die Grenze, zwischen gesehen werden und sich diskriminiert oder „geshamed“ werden, ist mitunter sehr schmal. Ich hoffe, dass dieser Artikel dir ein Verständnis dafür bringen kann, warum dein Tätowierer diesen oder jenen Punkt in Bezug auf deinen Körper anspricht oder dir vielleicht von einem Wunsch abrät und Alternativen vorschlägt.
Um sicher sein zu können, dass du in keine unangenehme, diskriminierende oder verletzende Situation gerätst, solltest du dir dein Tattoostudio sorgsam auswählen. Ein Kennenlernen oder ein Beratungsgespräch vor dem Termin beispielsweise ist sinnvoll, um die im Studio arbeitenden Personen einschätzen zu können.
Fazit
Ich kann der Body-Positivity-Bewegung insofern nicht folgen, als dass ich, wie erwähnt, nicht jeden Körper schön finden kann. Auch zeigt mit meine Arbeit täglich auf, dass nicht jeder Körper normal ist. Vielleicht können wir uns darauf einigen, dass jeder Körper einzigartig ist und aufgrund der Leistung, die er jeden Tag vollbringt, Respekt verdient.
Außerdem muss ich über Besonderheiten eines Körpers sprechen können. Ich muss sagen können, dass du zu viele Muttermale für deinen Tattoo-Wunsch hast oder dass die dicke Krampfader auf deinem Bein zu Verzerrungen im Bild führen kann. Ehrlichkeit und Professionalität gehören für zu zu einem wertschätzenden und respektvollen Umgang mit Kunden dazu.
Eins noch zum Thema Schönheit: mir ist es tatsächlich mal passiert, dass ich einen Menschen geliebt habe, ohne dass ich seinen Körper schön fand – total verrückt oder? 😉
Hast du noch Tipps, wie du Bodyshaming vorbeugen kannst? Oder hast du eine ganz andere Meinung oder eine Anregung zum Thema Body-Positivity? Schreibe mir gern in die Kommentare.