Tätowierungen sind der Trend des 21. Jahrhunderts. Meine Generation, die um 1985 geborenen, tragen fast alle Tätowierungen. Doch welche Dramen sich aufgrund der bunten oder schwarzen Hautbilder in den Elternhäuser der Tattoo liebenden Jugend abspielen, darüber sprechen nur die wenigsten. Eltern sind meistens ablehnend oder mindestens skeptisch eingestellt, wenn der Nachwuchs den Wunsch nach einem dauerhaften Hautbild äußert. Natürlich gibt es auch Ausnahmen, aber in diesem Artikel soll es um die Probleme gehen, die dieser Generationskonflikt mit sich bringt.
Tattoos sind gesellschaftsfähig geworden
Man kann es gutheißen, verteufeln oder ignorieren, Fakt ist: Tätowierungen sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Jedes Jahr öffnen in Deutschland hunderte neue Tattoostudios. Spätestens an warmen Sommertagen kann niemand von uns behaupten, diesen Wandel in der Gesellschaft nicht bemerkt zu haben. Wenn leichtbekleidete Menschen jeder Altersklasse ihre bunten Hautbilder zur Schau stellen, ziert ein buntes Kätzchen das Handgelenk einer jungen Frau an der Supermarktkasse, der Bodybuilder im Fitnessstudio betont seine muskulösen Arme mit orientalischen Mustern und Mütter mittleren Alters zeigen stolz die Namen ihrer Kinder, die in dunkler Tinte umrahmt von Sternen zur hellen Haut auf der Schulter kontrastieren. Vor keinem Alter, vor keiner Schicht und keinem Berufsbild macht dieser Trend mehr Halt.
Aber was, wenn die eigenen Kinder den Wunsch äußern sich tätowieren zu lassen? Wenn sich in volljährigen Kindern das Bedürfnis regt, ihre Haut unwiderruflich mit Farbe anreichern zu lassen, dann hängt in vielen Familien der Haussegen schief.
Hier prallen Ansichten und Interessen aufeinander. Für die meisten Eltern ist das Aussehen ihrer Kinder makellos und jede dauerhafte Veränderung in Form von Tätowierungen überflüssig oder gleicht einer Katastrophe. Die Kinder indes unterliegen nicht nur einem Drang nach Selbstoptimierung, der durch das internet, insbesondere die sozialen Netzwerke, wie Facebook und Instagram verstärkt wird, sie müssen sich auch abnabeln, ihre Persönlichkeit finden und definieren. Dieser Prozess wird natürlich auch über die Selbstbestimmung des eigenen Aussehens unterstützt und endet nicht mit dem Ablauf der Pubertät. Mit 18 Jahren sind Jugendliche in Deutschland volljährig, dürfen wählen, Autofahren und sich tätowieren lassen. Der Reifeprozess und das damit verbundene Erwachsenwerden, ist zu diesem Zeitpunkt jedoch längst nicht abgeschlossen.
Konflikte sind vorprogrammiert
Die Generation unserer Eltern ist häufig mit der Erfahrung aufgewachsen, dass Tätowierungen nur von Menschen am äußersten und schlechtesten Rand der Gesellschaft getragen werden. Diese Einstellung sitzt tief und ist mit der Erziehung unserer Eltern und ihren Erfahrungen verwurzelt. Natürlich möchten sie nicht, dass ihre Kinder, die sie über Jahrzehnte liebevoll aufgezogen und erzogen haben, sich durch ein dauerhaftes Hautbild alle Chancen nehmen und das Ansehen in der Gesellschaft ruinieren lassen. Wir können ihnen diesen Glauben nicht übel nehmen. Gelernt ist gelernt und jeder Mensch geht einen schwierigen Weg, seine Ansichten und Glaubenssätze zu definieren und zu schärfen. Im Alter von diesen abzulassen, ist eine noch schwierigere Aufgabe.
Ich gehöre zu den Menschen, die keine Kinder haben. Ich kann mir das Gefühl nicht vorstellen, ein gesundes und unverletztes kleines Wesen auf die Welt zu bringen, es aufzuziehen, zu beschützen und seine Entwicklung mit Adleraugen zu bewachen, um dann mit dem Wunsch nach einer dauerhaften Veränderung des Aussehens seinerseits konfrontiert zu werden.
Vielleicht ist das wirklich für viele Eltern ein unüberwindbarer Schock oder eine niemals nachvollziehbare Entscheidung. Leider kann ich mich mangels eigener Erfahrungen nur bedingt in ihre Lage hinein versetzen, aber Verständnis kann jeder von uns aufbringen, wenn man sich die oben genannten Tatsachen bewusst vor Augen führt.
Warum wollen junge Menschen Tätowierungen?
Jede junge Generation muss sich von der vorherigen abnabeln. Ein neues Selbstbild muss definiert werden. Zu der gelungenen Persönlichkeitsentwicklung eines jeden jungen Menschen gehört auch die Frage nach dem „Wie möchte ich aussehen?“. Für mich ist es naheliegend, dass eine Generation, die mit Selfies und unzähligen Social Media Profilen aufwächst, dem eigenen Aussehen einen wichtigeren Stellenwert beimisst, als es vor dem Internet der Fall war. Profile auf Social Media stellen uns täglich Fragen, wie „Wer bist du?, Was machst du gerade? Wie fühlst du dich?“ Dementsprechend viel Wichtigkeit messen wir diesen Fragen bei. Die eigene Persönlichkeit soll sichtbar gemacht und nach außen transportiert werden. Tätowierungen bieten hier ein ideales Kommunikationsmittel, mit dem ich mich und meinen Charakter definieren und nach außen präsentieren kann. Lies hierzu auch meinen Artikel, warum Menschen sich tätowieren lassen.
Für die Generationen Y und Z, wie sie landläufig genannt werden, verlangt das Umfeld eine genaue Definition des Individuums. Nicht zuletzt spielen hier auch die sozialen Medien und die obligatorische Selbstdarstellung durch selbige eine Rolle. Wie können junge Menschen sich heute erfolgreich abnabeln, wenn sie nach einer Generation kommen, die schon alles erlebt und gemacht hat?
Junge Menschen Anfang 20 möchten ihr Äußeres häufig auch gezielt von dem der Eltern differenzieren. War es für unsere Eltern für diesen Zweck schon „rebellisch genug“ eine zerrissene Jeans zu tragen oder sich als Mann die Haare lang wachsen zu lassen, so hat unsere Generation die dauerhafte Körpermodifikation für sich entdeckt.
Jede Generation braucht einen eigenen Weg der Selbstdefinition und möchte lernen, unwiderrufliche Entscheidungen selbst zu treffen.
Was kann ich als Mutter oder Vater tun?
Äußert das eigene Kind den Wunsch nach einer Tätowierung, kann man es ihm nicht mehr verbieten, sofern es die Volljährigkeit erreicht hat. Aus meiner Sicht, ist es auch nicht ratsam, dem Kind mit Sanktionen zu drohen oder Enttäuschung über diese Entscheidung spüren zu lassen. Wahrscheinlich machen sie es nämlich trotzdem und die Gefahr einen Fehltritt zu begehen, ist sicher größer ohne die Unterstützung einer liebenden Person im Hintergrund.
Viel sinnvoller ist es, das eigene Kind zu unterstützen und zu beraten, damit es keine Fehlentscheidung trifft. Ich finde es unverantwortlich, wenn Eltern ihren noch sehr jungen Kindern erlauben, sich Tätowierungen im sichtbaren Bereich stechen zu lassen. Natürlich sind Hand-, Finger,- und Unterarmtätowierungen momentan der letzte Schrei. Hat das Kind jedoch noch keinen Ausbildungsplatz oder die Schule noch nicht beendet, kann diese Entscheidung viele Wege verbauen. Im gemeinsamen Gespräch in der Familie kann am besten erörtert werden, welches Motiv ein Leben lang gefallen kann und welche Körperstellen für den Einstieg gut geeignet sind. Auch bei der Wahl des richtigen Tattoostudios können Eltern Hilfestellung leisten. Im gemeinsamen Gespräch mit verschiedenen Tätowieren können die Eltern den häufig sehr aufgeregten jungen Menschen beratend zur Seite stehen und auf eine längere Lebenserfahrung und Einschätzungsfähigkeit zurück greifen.
Was kann ich tun, wenn meine Eltern gegen meinen Tattoowunsch sind?
Ablehnung gegenüber Tätowierungen kommen, wie oben bereits angesprochen, meist aus den Erfahrungen und den Umständen der Erziehung unserer Eltern. Gänzlich werden wir ihren Blickwinkel in manchen Fällen nicht ändern können, aber wir können sie aufklären und ihnen Ängste nehmen. Oft ist es hilfreich, den Eltern vorab zu zeigen, was heutzutage technisch alles an Motiven und Stilen möglich ist. Viele Eltern haben noch das Bild von blau-schwarzen und verschwommenen Tribals, Rosen und Delfinen vor Augen, wenn die das Wort „Tattoo“ hören. Zeigt euren Eltern Instagram-Profile von euren Tattoo-Favoriten, macht sie mit aktuellen Pinterest-Trends vertraut und überrascht sie so mit der hohen Qualität, die Tattoostudios heute zu bieten in der Lage sind.
Wichtig ist auch der Aspekt der Hygienevorschriften. In deutschen Tattoostudios geht die Rate der Ansteckung mit blutübertragbaren Infektionskrankheiten fast gegen Null. Alle Tattoostudios werden vom örtlichen Gesundheitsamt überwacht und im Zweifel kann man sich dort auch Informationen über den Tätowierer seiner Wahl einholen. Viele Tattoostudios bieten inzwischen auch Beratungsgespräche vor Ort an, man könnte die Eltern mitnehmen, um ihnen die Unsicherheit in Bezug auf das Projekt Tattoo zu nehmen. Besonders voreingenommen Eltern werden überrascht sein, wie viele Tätowierer und Tätowiererinnen heute sogar ein Abitur oder ein abgeschlossenes Studium nachweisen können uns somit alles andere als unterbelichtete Outlaws darstellen.
Meine eigenen Erfahrungen
Natürlich gibt es auch Eltern, die selbst tätowiert sind und überhaupt kein Problem darin sehen, wenn die eigenen Kinder zu Nachahmern werden. Häufig tätowiere ich Mutter-Tochter-Tätowierungen oder Mutter und Tochter kommen gemeinsam zum Termin und jeder lässt sich sein Wunschbild stechen. Dieses Idealbild trifft aber leider nicht auf alle Tattoo-interessierten jungen Menschen zu.
Als Tätowiererin tätowiert man natürlich auch seine eigenen Freunde. So stieß ich mitunter auch auf offene Ablehnung seitens der Eltern meiner Freunde. Diese fühlten sich teilweise von mir hintergangen oder waren regelrecht wütend auf mich, weil ich ihre Kinder tätowiert hatte. Auch junge Kunden erzählen mir manchmal, dass ich besser nicht ihren Eltern begegne. Wenn diese eine ohnmächtige Wut ob des Tattoowunsches ihrer Zöglinge empfinden, projizieren sie diese oft auch auf den ausführenden Tätowierer.
Auch meine Mutter hat nicht viel für bunte Haut übrig. Über neue Tätowierungen bei mir regt sie sich zwar nicht mehr so sehr auf, wie noch vor einigen Jahren, aber sie lässt mich doch spüren, dass sie meine Vorliebe für Tätowierungen auf meinem eigenen Körper nicht gut heißt. Deswegen kann ich mich gut in die in diesem Artikel angesprochene Konfliktsituation hinein versetzen und beide Seiten verstehen.
In meinem alltäglichen Umgang mit geliebten oder lieb gewonnenen Menschen, kann ich jedoch auch feststellen, dass sich deren Einstellung ändert. Längst kommt es nicht mehr zu eskalierenden Konfliktsituationen, wenn bei mir oder Freunden neue Hautbilder auftauchen. Ganz langsam erkennt jeder meinen Beruf und meine Leidenschaft, sowie die damit verbundene harte Arbeit an und lernt selbige aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Darüber freue ich mich sehr.
Wenn du dir eine Tätowierung wünschst und deine Eltern absolut dagegen sind, dann gib ihnen doch mal diesen Artikel zu lesen. Ihr könnt mich auch gemeinsam anschreiben, um Ängste und Befürchtungen seitens der Eltern zu besprechen. Wenn du auf diesen Artikel gestoßen bist, weil dein Kind sich eine Tätowierung wünscht, hoffe ich, dass du auf meiner Seite einige Vorurteile los werden konntest. Wenn nicht, bist auch du herzlich eingeladen, mir zu schreiben oder einen Kommentar zu hinterlassen.
6 Kommentare
Kommentieren →Guten Tag Esther,
Es steht wieder einmal ein interessantes Thema in der Runde. Nach der Diskussion über den Tattoo-Schmerz ist dieses Thema auch immer wieder aktuell. Wie reagieren die Eltern wenn die Kinder einen sehnlichen Tattoo-Wunsch haben. Ich hatte dabei meine grössten Probleme mit meinen Eltern, vorwiegend mit meiner Mutter. Altersmässig, in den 50er Jahren geboren, stehe ich eine Generation vor dir. Vor langer Zeit, als ich etwa 7-8 Jahre alt war, erfolgte bei unserem Haus eine Strassenkorrektur, danach arbeitete ein Gärtner an unserer neuen Gartengestaltung. Dieser Mann trug auf der Brust ein grosser 3-Master, auf beiden Armen hatte er schöne maritime Motive tätowiert. Damals interessierte ich mich sehr für diese tollen Gemälde. Er erklärte mir, dass diese tätowiert seien. Ich hörte zum ersten Mal das Wort „Tätowiert“. Ich war begeistert, dass diese Bilder bei Waschen nicht verschwinden würden. So war ich mit dem „Virus“ infiziert, dass ich mich auch tätowieren lassen möchte. Als kleiner Junge sammelte ich die Abziehbildchen die es mit den Kaugummis gab, unter Kameraden tauschten wir diese und wir „tätowierten“ uns auf diese Weise. Meine Mutter konnte ich mit meiner „Kunst“ auf meinen Armen auf die Palmen bringen. Am Abend vor dem zu Bett gehen musste immer alles abgewaschen sein. Selten konnte ich ein Bild in den nächsten Tag schmuggeln. Mein Vater sah die Sache viel lockerer. Als ich um die 18-20 Jahre alt war suchte ich oft Städte auf wo Tattoostudios zu finden waren. Leider waren diese immer so versteckt in Hinterhöfen. Bei uns in der Schweiz gab es kaum Tätowierer, in Bern war das Tätowieren amtlich verboten! Ich fand den Draht noch nicht zu einem seriösen Studio. Als ich schon 30 Jahre alt war fand ich in Zürich einen mittelmässigen Tätowierer von ich mir auf den rechten Oberarm einen Adler stechen liess. Später fand ich ebenfalls einen sehr guten Tätowierer, der ein guter Freund zu mir wurde. Von ihm habe ich mir meinen ganzen Rücken verzieren lassen. Leider ist er an einer Krebserkrankung gestorben. Nun tätowiert mich seine Lehrtochter die inzwischen eine sehr gute Künstlerin geworden ist.
Nun zurück zu meinen Eltern, meine Mutter hatte fast einen Nervenzusammenbruch wegen meiner inzwischen doch grösserer Ansammlung von „unabwaschbaren“ Hautbildern. Sie konnte es nie begreifen, dass man Geld ausgeben kann für eine solche Art der Körperverschönerung. Mein Vater sah die Sache viel lockerer, auch tätowierte Menschen seien gute Menschen. Er meinte immer, ich solle es nicht übertreiben. Da war ich doch schon von Kopf bis zu den Knien zu tätowiert.
Für heutige Begriffe habe ich relativ spät die ersten Nadelstiche der Tätowiermaschine erhalten. Einerseits ist es, aus meiner Sicht, auch gut so, denn man ändert doch so manches Tattoo-Projekt ab, desto reifer man wird. Ich kann in der heutigen Zeit gut verstehen, dass man möglichst früh beginnen möchte mit dem Sammeln von dieser tollen Kunst. Wie weit man es mit den Jahren bringen möchte weiss man im zarten Alter noch nicht. Die Leidenschaft, ich sage absichtlich nicht Sucht, kann sich stark entwickeln oder eben nicht. Auch hat es bestimmt einige finanziellen Aspekte.
Leider habe ich keine direkten Nachkommen, bestimmt wäre ich kein Gegner wenn sie das Bedürfnis hätten, sich tätowieren zu lassen. Ich würde ihnen jedoch raten, die Sache behutsam anzugehen und sich eine(n) Künstler(in) aus zu suchen. Die gute Planung und gute Vorgespräche sind schon die halbe Miete, du legst dir ein Kunstwerk zu, das dich für den Rest deines Lebens begleitet. Ich finde es schade wenn sich junge Leute leichtsinnig irgend ein Unding in die Haut tackern lassen von einem unfähigen Kumpel, der ein bisschen Taschengeld braucht.
Tätowierungen sind bei einem grossen Teil der heutigen Bevölkerung gut angekommen. Ich ernte sehr viele Komplimente, werde auch oft auf meine Kunst auf meiner Haut angesprochen. Dabei entstehen auch immer sehr positive Gespräche. Ich lasse mich tätowieren, bald ein Bodysuit, weil es mir gefällt und mich glücklich macht, aber es freut mich wenn es anderen Leuten auch gefällt.
Viel Spass und Erfolg bei der Ausübung deines wunderschönen und verantwortungsvollen Kunsthandwerks.
Viele liebe bunte Grüsse
Rudi
Lieber Rudi, vielen Dank, dass du meine Leser und mich an deiner Familiengeschichte teilhaben lässt. Ich habe diese Anekdote mit großer Aufmerksamkeit gelesen und bin sicher, dass der eine oder andere sich auch in diesen Geschichten wieder findet. Die Leichtsinnigkeit mancher, meist junger Kunden, bereitet auch mir oft Kopfzerbrechen, aber wenn sie volljährig sind, ist es schwierig, sie zu belehren oder entmündigen zu wollen.
Ich danke für deinen langen Kommentar und wünsche dir viel Erfolg für deinen Bodysuit!
Esther
Liebe Esther,
Dein Artikel ist wirklich interessant und trifft den Nagel in meinem Fall genau auf den Kopf.
Zuerst Vorweg: ich bin, leider, nicht tätowiert.
Ich würde mich selber so einschätzen, dass ich nicht einer dieser typischen jungen Leute bin, die mal schnell ein Tattoo brauchen, weil alle auf Instagramm eins haben. Nein, meine Leidenschaft für Tattoos steckt viel tiefer und begann viel früher. Mit etwa 5 Jahren sah ich einen jungen Mann mit Drache am Bein. Das hat mich so fasziniert, dass ich viele Fragen gestellt habe und begann, mir mit Filzstift selber Drachen aufs Bein zu malen. Seit diesem Erlebnis im Kindergartenalter, das sich einreiht in eine lange Liste von faszinierenden Tattoobeobachtungen, stand für mich fest, dass ich auch tätowiert sein werde. Ich finde Tätowierungen nicht nur wahnsinnig schön, sondern die Endgültigkeit fasziniert mich. Die Vorstellung, dass man ein Kunstwerk in der Haut trägt, was nie wieder abzuwaschen ist. Inzwischen habe ich durch meine Begeisterung viele Studios und Messen besucht.
Bedauerlicherweise habe ich mit dem Jahren gemerkt, dass meine Eltern Tätowierte abgrundtief hassen. Da sie es durch ihre Nettigkeiten geschafft haben, mir Angst zu machen, mich dahingehend zu outen, („was wir für dich alles getan haben“) haben sie nie etwas von meinen Plänen erfahren, bis vor sehr wenigen Jahren. Das Thema kam bei ihnen immer wieder auf: „Ih bah, ein Tätowierter. Wie asozial muss man sein? Konnten die Eltern ihre Kinder nicht richtig erziehen? Wie kann ein Kind seine Eltern nur so enttäuschen?“ lautet immer wieder ihr Credo. Jedes Mal, wenn sich ein Kind von Freunden meiner Eltern ein Tattoo stechen lässt, meinen sie: „Die armen Eltern. Das ist der Dank, dass sie ihr Kind immer unterstützt haben.“ Meine Eltern denken, Kinder gehören ihren Eltern aufgrund des Großziehens.
Auch die Argumente, Tätowierte haben einen psychischen Schaden und seien dumm, kommen gerne auf.
Dennoch habe ich also durchblicken lassen, ich hätte auch gerne eins. Reaktion: „Nach all dem, was wir für dich getan haben, willst du uns sowas antun?“
Seitdem tun meine Eltern so, als wüssten sie dies nicht und lästern weiter, und zwar noch fieser als vorher, oder schweigen das Thema tot in der Hoffnung, sie bringen mich davon ab, was ihnen bedauerlicherweise auch mit Bravour gelingt.
Ich leide sehr unter ihrer Abneigung, weil in mir der Konflikt besteht: Der sehnliche Wunsch nach einem Tattoo und die Angst vor meinen Eltern, weil sie mir mit Erfolg einreden, sie bitter zu enttäuschen.
Ich weiß nicht, ob ich es je schaffe, mich tätowieren zu lassen, wahrscheinlich nicht, auch wenn das Bedürfnis danach groß ist.
Deswegen rate ich jedem: Tue es, wenn ihr wollt, sonst werdet ihr es bitter bereuen, so wie ich.
Es tut mir sehr leid, dass deine Eltern so wenig einsichtig und tolerant sind. Ich an deiner Stelle würde mir meinen Tattoowunsch an einer nicht sichtbaren Stelle realisieren und sie gar nicht einweihen. Man ist immer in dem Konflikt, dass man sein eigenes Leben leben möchte jedoch ohne seine Eltern, die man ja sehr liebt, zu enttäuschen. Ein anderer Weg fällt mir bei so sturen Exemplaren leider auch nicht ein 😉
Liebe Esther,
Per Zufall bin ich wieder mal auf deine Seite gestossen, ich habe deinen (und meinen) Beitrag wieder mal gelesen und muss wirklich sagen, wie recht du hast mit deiner Darstellung. Du verstehst es auch, damit die kritischen Eltern richtig „abzuholen“ und ihnen darzustellen, dass Tätowierungen heute im alltäglichen Leben angekommen sind und nicht mehr weg zu denken sind. Ich hatte mit meinen Eltern auch grosse Schwierigkeiten. Meine Mutter ist 2009 und mein Vater 2016 gestorben. Ich vermisse sie allerdings sehr. Es ist aber nun mal ganz normal, dass einem irgendwann die Eltern wegsterben. Bis zum Tod meiner Eltern habe ich mich soweit tätowieren lassen, dass ich die Tattoos immer noch mit normaler Kleidung verdecken konnte. So habe ich den Anfang gemacht der nun zu einem vollständigen Bodysuit-Tattoo werden sollte. In meinem gegenwärtigen „Tattoo-Stand“ habe ich nur noch Hände, Füsse, Hals, Kopf und im Intimbereich tattoo frei. Mein rechter Unterarm ist gegenwärtig noch eine Baustelle, die Achselhöhlen werden danach auch mit Tinte bedeckt. Mit meinem gegenwärtigen Aussehen fühle ich mich perfekt und bin mega glücklich dabei, dass ich fast keine langweilige nackte Haut mehr habe. Wenn ich ohne Kleidung unter der Dusche stehe, fühle ich mich trotzdem angezogen. Meine Tattoos sind mehrheitlich im asiatisch-japanischen Stil. Es sind einige sehr bunte Motive mit kräftigen Farben, die mir ein wohliges Gefühl verleihen. In der warmen Jahreszeit trage ich meistens lockere Kleidung, Trägershirt und kurze Hosen, so dass man die Tattoos sieht. Meistens ernte ich positive Komplimente. Ich lasse mich tätowieren weil es in erster Linie mir gefällt und ich mich damit glücklich fühle, aber wenn es anderen Menschen gefällt, freut es mich auch. Negative Äusserungen habe ich schon lange keine mehr gehört. Wenn man in der warmen Jahreszeit die Leute sieht, merke ich oft, dass ich lange nicht der Einzige bin der stark tätowiert ist. Tattoos beleben auch den Dialog unter Gleichgesinnten. Die meisten Freunde von mir sind auch tätowiert.
Soeben habe ich den Beitrag von Alexa gelesen, ich kann sie sehr gut verstehen und begreife nicht wie ihre Eltern so eine unverständliche Abneigung gegenüber Tattoos und tätowierten Menschen haben können. Liebe Alexa, ich verstehe deine Situation bestens. Wenn du ein so grosser Tattoo-Wunsch hast, dann verwirkliche ihn. Wie heisst das Sprichwort; Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum! Du kannst ja mit einem kleineren Motiv an einem versteckten Ort an deinem Körper anfangen und du wirst sehen, irgendwann wird immer ein bisschen mehr daraus. Dass sich eher konservative Eltern nicht so viel von Tätowierungen halten kann auch ich begreifen. In der Generation nach 1950 war der Aufbau und Arbeit wichtig und für dauerhafte Körperverzierungen hatte man nichts übrig. Wenn man sich beruflich noch nicht stark verwurzelt hat, ist es auch nicht sinnvoll wenn man sich zum Beispiel die Handrücken tätowieren lässt. Wenn man sich nach bunten Bildern unter der sehnt, so soll man auch welche haben. Die Eltern bringen einem auf die Welt, das ist auch gut und schön. Aber ab einem gewissen Alter wo man auch eine Erwachsenenreife hat, kann und darf man über sein Leben und seinen Körper entscheiden. Da sollten sich die Eltern definitiv draus halten. Ich kann dir nur Mut zu sprechen und hoffe, dass du deinen Tattoo-Wunsch erfüllen wirst. Ich glaube nicht, dass dich deine Eltern deswegen enterben würden. Viel Glück.
Diese Geschichte von Alexa hat mich wirklich berührt, deshalb habe versucht ihr ein bisschen Mut zu sprechen. Ich habe meinen Entschluss noch nie bereut, dass ich momentan schon fast ganz mit bunten Bildern „abgedichtet“ bin. Es ist immer noch so wie anfänglich, wenn ich eine Tattoo-Sitzung abgeschlossen habe, sprudeln bei mir die Glücksgefühle hoch. In Sachen Schmerzempfindung habe ich meinen Körper, bei jeder Sitzung immer wieder neu kennen gelernt. Es gibt wirklich sehr fiese Stellen, mit einer guten Atemtechnik kann man auch diese gut überwinden. Man bekommt ein Kunstwerk in die Haut gestochen, das waschecht bis an das Lebensende hält, da muss es halt ein bisschen schmerzen.
Eine gute Zeit, bleib Gesund und immer viel Spass bei deinem tollen Beruf.
Viele liebe bunte Grüsse
Rudi
Liebe Esther,
wir haben eine 19-jährige Tochter, die nächstes Jahr ihr Abitur macht und noch nicht weiß, wo ihr beruflicher Weg sie hinführen soll.
Sie hat eine kleine Tätowierung am Unterarm. Die Symbole der Sternzeichen von uns (Papa, Mama, Bruder und ihr eigenes) und ein recht großes Tatoo am Rücken – eine Rose mit Schlange. So weit so gut. Wir haben selbst je eine eher kleine Tätowierung (oberer Rücken und Oberarm) und sind sicherlich nicht generell gegen Tätowierungen. Allerdings haben wir uns erst mit Ende 20, zur Geburt unserer Tochter, tätowieren lassen. Ich selbst, hätte ich die Kohle dafür gehabt, hätte mir gerne mit 19/20 Jahren einen Delphin, ein Arschgeweih oder eine Sonne um den Bauchnabel stechen lassen wollen und bin heute extrem froh, dass mein Geldbeutel damals zu klein war bzw. ich die Prioritäten anders gesetzt habe.
Gefunden habe ich deine Seite, weil unsere „Kleine“ sich immer weiter tätowieren lassen will und wir uns eben Sorgen machen, dass ihr das beruflich einiges verbauen kann. Jegliche Argumentation, dass sie sich doch einfach für weitere sichtbare Tatoos noch Zeit lassen soll bis sie mit beiden Beinen im Leben steht, sprich wenigstes einen Arbeitsplatz hat, verläuft im Sand. Leider können wir reden was wir wollen, es kommt einfach nicht an. Wir glauben, dass sie die möglichen Konsequenzen momentan einfach noch nicht abschätzen kann.
Jetzt hoffe ich sehr, dass die Sichtweise und Erfahrungen? einer Tätowiererin, die bei jungen Menschen vor der Berufswahl durchaus auch Bedenken hat und diese sogar schriftlich äußert, uns vielleicht helfen kann. Vielen Dank dafür.