Ich habe keinen Überblick mehr, mit wie vielen Kunden, Freunden und Kollegen ich in den letzten Tagen das Thema Soforthilfe diskutiert habe. Viele von euch haben meine Instagram-Story dazu gesehen und sich bei mir mit Lob oder Kritik gemeldet, andere hatten Fragen und mit wieder anderen spreche ich schon seit Wochen über nichts anderes.
Es gab die Bitte, dass ich das Thema auf meinem Blog verschriftliche, um möglichst viele Menschen an der Debatte teilhaben zu lassen, die ich größtenteils über meinen Instagram-Account geführt habe.
Leider ist es mir nicht möglich, jedem von euch die individuellen Schwierigkeiten, Fallstricke oder Besonderheiten des Soforthilfeprogrammes aufzuzeigen, da jedes Bundesland sein eigenes Soforthilfe-Süppchen kocht. Auch, wenn ich „nur“ im Homeoffice sitze, ist es doch für eine Person nicht zu bewältigen, jedes dieser Verfahren zu durschauen. Mein Schwerpunkt liegt also auf dem Programm des Landes NRW.
Einschränkend möchte ich betonen, dass ich alle Angaben hier ohne Gewähr mache. Selbst die Informationen, die uns die Mitarbeiter der Industrie- und Handelskammern zukommen lassen, ändern sich stündlich. Niemand kann sicher voraus sagen, was zu diesem Thema noch auf uns zukommt.
Das Soforthilfeprogramm
Ich war sofort skeptisch, als ich von einem Zuschuss für alle gehört habe. Die Aussage Peter Altmaiers war noch zu präsent in meinem Kopf: „Wir werden nicht mit der Gießkanne über’s Land gehen.“ – ach und jetzt plötzlich doch?
Jedes Unternehmen und jeder Selbstständige kann seit letztem Freitag einen dreistufigen Zuschuss für sein Unternehmen beantragen. Es gibt vier Kriterien, von denen nur eines erfüllt sein muss, um den Zuschuss zu erhalten. In meinem Fall ist es das 3. Kriterium, nämlich, dass die Möglichkeit Umsatz zu erzielen durch eine behördliche Auflage stark eingeschränkt wurde. Tattoostudios müssen bis mindestens 19.04. geschlossen bleiben.
Kritik
Meine Story auf Instagram bezog sich vornehmlich darauf, dass meiner Meinung nach zu wenig Informationen zu diesem Zuschussprogramm bereit gestellt werden.
An dem Tag, als die Anträge online gingen, änderten sich die Voraussetzungen und Bedingungen, die auf der Seite geschrieben wurden quasi im 30-Minuten-Takt. Das hat mich und viele andere verunsichert.
Inzwischen finde ich am schlimmsten, dass es in allen Bundesländern unterschiedliche Regelungen und Bedingungen gibt. In NRW gibt es für Unternehmen mit bis zu 5 Beschäftigten 9.000 Euro, in Hessen sind es 10.000 Euro und in wieder anderen Bundesländern gibt es maximal einen Kredit. In Hessen und Bayern muss der Selbstständige erst sein Privatvermögen aufbrauchen bevor er antragsberechtigt ist, in NRW bleibt der private Besitz unberührt.
Auch wenn im Fernsehen und in den Medien von unkomplizierten und unbürokratischen Soforthilfen die Rede ist, ist es nicht so einfach und gefahrlos, wie der gemeine Konsument annehmen sollte.
Im Formular und auf der Seite des Wirtschaftsministeriums finden sich bereits eingestreut dezente Hinweise auf die Rückzahlbarkeit der Summe im Falle der fehlenden Bedürftigkeit. Nur wie berechne ich diese? Es gibt so viele Einzelschicksale und Berechnungsbeispiele, welche Behörde will das zweifelsfrei nachrechnen können?
Ab wann habe ich denn einen eindeutigen Finanzierungsengpass? Es weiß doch niemand, wie lange die Krise anhält und ob ich nach Corona noch genug Kunden habe oder ob meine Kunden durch Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit ausbleiben.
Übrigens, wer das Geld zu unrecht bezogen hat, muss das Geld zurück zahlen und zwar mit 5% Zinsen.
Liquidität durch Gutscheine
In jedem Fall wird immer der akute Finanzierungsengpass als Bedingung heran gezogen. Ich hoffe für alle Kolleginnen und Kollegen, dass dieser Engpass sich nicht nur auf die Monate März und April beziehen darf. Viele von uns haben ihre Liquidität auf kreative Weise vorübergehend sicher gestellt, indem sie Gutscheine verkauft haben oder das Angebot von Kunden wahrgenommen haben, höhere Anzahlungen für Tattoos in der Zukunft zu leisten. Diese Einnahmen werden ihnen in der zweiten Jahreshälfte fehlen, wenn die Gutscheine eingelöst werden oder das eingenommene Geld aus den Anzahlungen für Mieten und Versicherungen in der Corona Zeit ausgegeben wurden. Sollte die Soforthilfe dann zurück gefordert werden, weil man im März und April noch zahlungsfähig war, wird es viele von uns nachträglich in den Ruin treiben – dann jedoch still und unbemerkt, weil die mediale Aufmerksamkeit fehlt und weil die Unternehmen zeitversetzt „sterben“ bzw. in die Zahlungsunfähigkeit schlittern.
Thema Gewerbemiete
Nach dem xten Telefonat mit der IHK bin ich zu dem Entschluss gekommen, die Soforthilfe zu beantragen und damit meine Mietzahlungen sicher zu stellen. Wie die meisten anderen Vermieter auch ist meine Vermieterin eine Privatperson und von staatlichen Hilfen momentan komplett ausgeklammert. Der Kündigungsschutz der Mieter bei Nichtzahlung und die Aufforderungen zu fast bedingungsloser Kulanz gegenüber den Mietern sind wieder mal nur eine Seite der Medaille. Für eine funktionierende Wirtschaft ist es auch wichtig, dass unsere Vermieter liquide bleiben. Sie sind es, die uns auch morgen noch gepflegte Immobilien zur Verfügung stellen, unsere Handwerker bezahlen und unseren Arbeits“platz“ im Wortsinn bereit stellen.
Ich finde es unter diesen Gesichtspunkten nicht fair, den Vermieter außen vor zu lassen, die Miete zu reduzieren oder auszusetzen und den Kündigungsschutz auszunutzen. Natürlich immer unter der Voraussetzung, dass man sich die Miete selbst noch leisten kann.
Wofür darf ich die Soforthilfe ausgeben?
Die Soforthilfe darf laut IHK nur zur Überbrückung der Corona-Krise ausgegeben werden. Entgegen vieler Gerüchte können die Ausgaben nachgeprüft werden und laut des Dokumentes müssen sie auch in der Steuererklärung für 2020 nachgewiesen werden. Wer also keinerlei Finanzierungsengpass hat und die 9.000 Euro (oder mehr) in ein neues Auto, die Renovierung des Studios oder einen privaten Urlaub investiert, macht sich strafbar. Außerdem müssen die Gelder in einem solchen Fall nicht nur zurück gezahlt, sondern auch mit 5% verzinst zurück gezahlt werden.
Natürlich darf die Soforthilfe zur Sicherung des eigenen Lebensunterhaltes ausgegeben werden. Als Referenz gelten die durchschnittlichen Privatentnahmen, die man in den Vormonaten getätigt hat. Dies gilt auch für Selbstständige ohne eigenen Betrieb, die die Hilfen ausschließlich zur Absicherung der privaten Existenz benötigen.
Ihr solltet jedoch davon absehen, Material oder andere Geschäftsanschaffungen von diesem Geld zu bezahlen. Eine neue Maschine oder ein neuer Stuhl müssen auch während und nach Corona eigenständig erwirtschaftet werden.
Eine Ausnahme stellen laut IHK Ersatzbeschaffungsmaßnahmen dar. Wenn ein Studio beispielsweise seinen kompletten Vorrat an Desinfektionsmitteln, Handschuhen und Mundschutz gespendet hat, so darf es diese Spende steuerlich geltend machen und die Ersatzbeschaffung aus der Corona-Soforthilfe finanzieren.
Wichtig ist, dass ihr das alles dokumentiert und schriftlich fest haltet für den Fall einer Steuerprüfung.
Bleibt skeptisch
Aufgrund der Tatsache, dass mir bisher jeder Mitarbeiter der IHK leicht unterschiedliche Informationen gegeben hat, gehe ich davon aus, dass noch niemand sich weiß, wie diese Hilfen zu bewerten sind.
Jedes Szenario ist möglich,
– dass viele Betriebe sie zurück zahlen müssen
– dass wir erst im Nachgang wissen, wofür wir es wirklich ausgeben durften
– dass man es teilweise zurück zahlen muss
– dass viele unwissend berechtigt waren, ohne Hilfen zu beanspruchen
– und und und…
Solch ein Programm hat es noch nie gegeben und niemand kann sicher sagen, wie zu Beginn des neuen Jahres damit umgegangen wird, wenn die Steuererklärungen geschrieben werden.
Auf jeden Fall wird es dann meiner Einschätzung nach keine mediale Aufmerksamkeit mehr geben. Am Ende des Jahres sitzt jeder allein vor seiner Steuererklärung und muss sich und seine Ausgaben rechtfertigen. Überlegt euch deswegen gut ob und wofür ihr das Geld beansprucht und ausgebt. Bleibt skeptisch und erklärt auch euren Kunden, dass bis jetzt immer noch niemand mit der Gießkanne Geld über dem Land ausgeschüttet hat.
4 Kommentare
Kommentieren →Ich habe noch irgendwo im kleingedruckten gelesen, dass diese Zahlung am Ende des Jahres dem Gewinn zugerechnet wird und die volle Einkommenssteuer darauf abzuführen ist.
Das steht so im Antrag und auch im Bescheid, wenn der Antrag bewilligt wurde. Deswegen bemängle ich die Aufklärung- vieles wird übersehen…
[…] Unsicherheiten, Fragen und Bedenken vernommen. Dieser Artikel nimmt unter anderem Bezug auf einen Artikel von Esther von Zum Buntspecht Tätowierungen. Wir haben uns daraufhin das Konstrukt noch einmal genau angeschaut. Im Folgenden wollen wir auf […]
[…] habe ich mir meinen ersten Blogartikel zu Beginn der Corona-Krise durchgelesen. In dem Artikel von Mitte März spreche ich offen über […]