Muss ich mein Tattoo nachstechen lassen?

Zugegeben, ich muss immer etwas schmunzeln, wenn Kunden mir diese Frage stellen während wir noch tätowieren. Gerne antworte ich dann augenzwinkernd mit: „Ich hoffe nicht!“
Scheinbar gehört das Nachstechen zu den anfälligsten Themen für Gerüchte und Halbwahrheiten. Das Internet, tätowierte Freunde und Bekannte, sowie „der andere Tätowierer“, irgendwie hat jeder eine andere Theorie dazu, wann, warum und wie oft ein Tattoo nachgestochen werden muss. Mein Adler im Titelbild müsste auf jeden Fall nachgestochen werden – er hat nicht mal mehr ein Auge!
In diesem Artikel möchte ich die häufigsten Fragen rund um das Nachstechen beantworten.

Muss jedes Tattoo zum Nachstechen?

Definitiv nein! Ich weiß nicht, woher diese Theorie kommt, aber Fakt ist: ein Tattoo muss nur zum Nachstechen, wenn Farbe während des Abheilprozesses verloren gegangen ist. Sind sichtbare Lücken in den Linien, den Schattierungen oder der Farbe, dann kann der Kunde diese Stellen von seinem Tätowierer nachstechen lassen. Ein Tattoo, bei dem alle Elemente einwandfrei erhalten geblieben sind, muss nicht nachgestochen werden.

Wird das Tattoo komplett nachgestochen?

Nein, der Tätowierer sticht nur die Stellen nach, an denen Farbe verloren gegangen ist. Würde er das ganze Tattoo nochmal überarbeiten, führte das dazu, dass zu viele Pigmente unter der Haut angesammelt werden und die Gefahr des Verlaufens erhöht sich. Außerdem wäre es unlogisch und für beide Parteien ineffektiv, sich den Schmerz und den Zeitaufwand erneut und in diesem Fall ohne erkennbaren Nutzen zuzumuten.

Wie lange dauert das Nachstechen?

Wie oben beschrieben, werden nur die Bereiche bearbeitet, denen Farbe fehlt. Dementsprechend dauert es in der Regel nur einen Bruchteil der Zeit, den das eigentliche Stechen in Anspruch genommen hat.

Dieser Mandala-Hund hat viel Zeit in Anspruch genommen. Das Nachstechen dauerte jedoch nur wenige Minuten, da nur an wenigen Stellen etwas Farbe fehlte.
Wann kann ich zum Nachstechen gehen?

Ich empfehle immer mindestens drei, besser aber vier bis fünf Wochen zu warten, damit das Tattoo gänzlich abgeheilt ist. Es kann auch mal vorkommen, dass ich Kunden nach vier Wochen noch nicht nachsteche, weil ich noch eine leichte Silberhaut auf dem Tattoo sehe und dem Bild noch ein bis zwei Wochen mehr Abheilungszeit gönnen möchte.
Sticht man eine Tätowierung zu früh nach, kann es sein, dass der Kunde mehr Schmerzen empfindet oder es im schlimmsten Fall zu einer Vernarbung des Gewebes kommt.
Trotzdem solltet ihr euren Tätowierer zeitnah nach eurem Tattootermin aufsuchen oder anrufen, um das Nachstechen zu planen.

Wie viel kostet das Nachstechen?

In seriösen Tattoostudios ist das einmalige Nachstechen der Tätowierung innerhalb einer kurzen Zeitspanne nach dem Tätowiertermin kostenfrei.
Ist die Tätowierung jedoch schon mehrere Monate oder Jahre alt, kann der Tätowierer durchaus eine gewisse Aufwandsentschädigung berechnen, da die Lücken im Bild auch von äußeren Einflüssen, wie Sonnenbränden, aufgekratzten Mückenstichen oder anderen Verletzungen kommen können.

Fremde Tätowierungen, die in einem anderen Studio gestochen wurden, werden natürlich niemals kostenfrei nachgestochen.

Tut das Nachstechen mehr weh?

Dies ist ein klassisches Gerücht unter Tattookunden. Wahrscheinlich hat es seinen Ursprung bei den Kunden, die ihre Tätowierung zu früh nachstechen ließen, als die Haut noch nicht ganz geheilt war, als die Nadel zum Nachstechen angesetzt wurde.
Ein weiterer Faktor, der dazu beitragen könnte, dass das Nachstechen als schmerzhafter empfunden wird, ist das fehlende Adrenalin. Wer eine neue Tätowierung bekommt, ist aufgeregt und freut sich. Nachstechen ist ein notwendiges Übel, quasi ein Pflichttermin, bei dem aber nichts spannendes oder neues passiert. Dementsprechend erlebt man die Prozedur „nüchtern“ und unaufgeregt. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass man den Schmerz dadurch bewusster wahrnimmt und intensiver empfindet.

Wer entscheidet, ob nachgestochen werden muss?

Viele Kunden sind unsicher, wenn es um die Beurteilung ihrer neuen Tätowierung geht. Häufig bekomme ich Fotos gesendet oder Kunden kommen in das Studio, um nachzufragen, ob das Nachstechen notwendig ist. Manche Kunden bestehen regelrecht darauf, dass ihre Tätowierung nachgestochen werden muss, auch wenn ich keinen Bereich erkennen kann, der das nötig hätte. Dies ist oft der Fall, wenn Freunde oder Bekannte altklug angemerkt haben, dass jede Tätowierung nachgestochen werden muss. Andere finden ihre Tätowierung einwandfrei und ich entdecke Stellen, die ich gern nochmal bearbeiten würde.

Bei diesem Watercolor-Rotkehlchen ist es Geschmackssache, ob der Träger kräftigere Farben wünscht oder ihn eine Stelle stört. Pauschal würde ich es nicht nachstechen.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass mein Tattoo nachgestochen werden muss?

Das kann man pauschal nicht sagen. Es gibt Stellen, die stärker gefährdet sind, während der Abheilung Farbe zu verlieren, weil sie im Alltag stark beansprucht werden. Dazu gehören die Fußaußenseite, der Ellbogen oder das Kniegelenk. Am seltensten steche ich Arminnenseiten, Oberschenkel und Rippenbögen nach. Grob geschätzt liegt die Rate für das Nachstechen in meinem Studio bei 10-20% und ich glaube, dass dieser Wert ungefähr dem Durchschnitt entspricht.

Meine Rose am Fuß ist äußerst blass geworden, da diese Stelle starker Reibung ausgesetzt ist. Ich könnte sie durchaus nachstechen lassen.
Verändert sich die Tätowierung durch das Nachstechen?

Natürlich verändert es sich, da lückenhafte Bereiche geschlossen werden. Es wird jedoch nichts am Bild verändert. Ein guter Tätowierer hat sich aufgeschrieben, welche Farben er für die Tätowierung verwendet hat, sodass nicht aus Versehen ein anderer Farbton zum Einsatz kommt.
Nach dem Nachstechen sind die Farben natürlich wieder kräftiger, als die bereits abgeheilten Bereiche der Tätowierung. Man kann also bei fast jeder Tätowierung sehen, dass nachgestochen wurde. Diese Unterschiede in den Farbnuancen gleichen sich jedoch nach wenigen Wochen wieder an, sodass kein Unterschied mehr erkennbar ist.

Diese Feder habe ich nicht nachgestochen. Eventuell hat sie in einigen Jahren eine Auffrischung nötig.
Müssen alte Tattoos nachgestochen werden?

Die Beantwortung dieser Frage ist nur eingeschränkt möglich. Wenn die Tätowierung sehr blass geworden ist oder ihre Linien stark verlaufen sind, sodass das Bild nicht mehr ansehnlich ist, kann man sie aufarbeiten lassen. In diesem Fall muss die Aufarbeitung natürlich bezahlt werden.
Allerdings ist das kein Muss. Eine Tätowierung muss nur nachgestochen werden, wenn sie ihrem Träger nicht mehr gefällt.

Ich hoffe, dass ich alle Fragen rund um das Thema Nachstechen beantwortet habe. Wenn dir noch eine Frage auf der Seele brennt, scheue dich nicht, sie in die Kommentare zu schreiben oder mich per Email zu kontaktieren.

3 Kommentare

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„In diesem Fall muss man die Aufarbeitung natürlich bezahlt werden.“

Altklug Bemerkung, Fehler im Satz.

Als Dank für den Blog, bin mir am überlegen ob ein Tattoo nun doch richtig ist für mich.

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