Tätowierer übernehmen in ihrem täglichen Schaffen eine große Verantwortung. Nicht nur für das gelungene Aussehen des Tattoos, sondern auch für die Gesundheit des Kunden. Aber welche anderen Aspekte gibt es noch und wo endet die Verantwortung des Dienstleisters?
Dieser Artikel entspringt einer unschönen Erfahrung, die ich auf Instagram gemacht habe. Das Erlebte musste ich direkt aufschlüsseln und in Worte fassen. Ich denke, das Thema ist für Tätowierer, sowie für Kunden von höchster Brisanz und Bedeutung.
Arbeit im Auftrag der Schönheit
Die Arbeit des Tätowierers vergleiche ich gern mit der eines Schönheitschirurgen. Man nimmt einen körperlichen Eingriff am Kunden vor, der nicht notwendig ist und den Kunden im besten Fall verschönern soll. Eine Körperverletzung ist immer mit gesundheitlichen Risiken verbunden. Es können Entzündungen und Infektionen auftreten, schlimmstenfalls kann man sich mit einer blutübertragbaren Krankheit infizieren. Lies hierzu auch meinen Artikel „HIV positiv dank Tattoo?“.
Aber auch wenn gesundheitlich alles gut geht, weil der Tätowierer verantwortungsbewusst arbeitet und alle hygienerelevanten Maßnahmen ergreift, ist er doch immer dem Risiko ausgesetzt, eine Tätowierung zu versauen.
Diesen Risiken sind Kunden, sowie Tätowierer ausgesetzt
- Die Tätowierung gefällt dem Kunden nicht, weil sie z.B. zu dunkel geraten ist oder weil der Kunde eine andere Vorstellung im Kopf hatte
- Ein Blow-Out entsteht, das heißt Farbe läuft aus der Linie in alle Richtungen aus und lässt das Tattoo alt oder unfachmännisch gestochen aussehen
- Ein Schriftzug oder ein Datum enthält Schreibfehler oder falsche Übersetzungen
- Die Bedeutung der Tätowierung stellt sich als falsch/anders heraus, als angenommen
- Motivfehler passieren, z.B. anatomische Fehler: ein Finger zu viel oder zu wenig bei einem Pin-Up oder ein Tier hat schielende Augen
- Die Tätowierung sitzt schief auf dem Körper
- Eine oder mehrere Linien sind verwackelt oder ragen zu weit in andere Motivbereiche
- Es wurde beim Schattieren oder Füllen übergemalt
Natürlich sind diese Risiken für den Kunden sehr ärgerlich und häufig auch schwer zu ertragen. Aber auch der Tätowierer wird nach so einem Fehler einige schlaflose Nächte verbringen, seine Arbeit und seine Berufung in Frage stellen und sich unheimlich schlecht fühlen. An dieser Stelle muss gesagt werden: Fehler sind menschlich und ich kann nur davon ausgehen, dass jedem Tätowierer während seiner Karriere schon mindestens einer der aufgezählten Fehler passiert ist. Tätowierer sind Menschen und Menschen machen Fehler.
„Hast du schon mal ein Tattoo versaut?“
Ich empfinde es als unfassbar anstrengend täglich dieser großen Verantwortung ausgesetzt zu sein. Das ist auch der Grund, warum ich nicht länger als fünf Stunden täglich tätowiere. Länger kann ich mich nicht zu 100% konzentrieren. Trotzdem sind mir auch schon Fehler aus der oben genannten Auflistung unterlaufen. Oft fragen mich Kunden, ob ich schon mal ein Tattoo „so richtig versaut“ habe. Ja, natürlich! Genau, wie jeder andere Tätowierer.
Ja, ich habe schon mal ein Chinazeichen mit falscher Bedeutung tätowiert…
… das war innerhalb meiner Ausbildung. Der Fehler fiel auf, als der Kunde zum Nachstechen kam und neben ihm eine andere Kundin (eine Asiatin) saß, die den Fehler bemerkte. Zum Glück für mich hatte der Kunde das Zeichen selbst mitgebracht und war von der Richtigkeit des Zeichens überzeugt. Er glaubte, sich ein symbol für „Liebe“ tätowieren zu lassen. Die asiatisch-stämmige Kundin klärte uns auf, dass es sich um das Symbol für „Dämon“ handelt. Eine böse Enttäuschung…
Immer wieder kommen Kunden mit Wünschen nach Schrift in mir fremden Sprachen. Mich wundert es wirklich sehr, dass viele Kunden glauben, ihr Tätowierer könnte jeden Satz in jede beliebige Sprache fehlerfrei übersetzen. Ich habe es nicht selten erlebt, dass Kunden überrascht waren, dass ich ihren Wunschtext nicht ins Arabische übersetzen kann…
Rechtschreibfehler
Es klingt vielleicht vermeidbar, aber ich habe auch schon Fehler in Schrift und Datum gemacht. In einem Fall hat eine Kundin mir ein zu tätowierendes Datum aufgeschrieben – leider so krakelig, dass ich eine der Zahlen falsch gelesen habe. Ich war mir keines Fehlers bewusst und die Kundin selbst war so aufgeregt, dass ihr die von mir falsch abgeschriebene Zahl nicht aufgefallen ist, als sie den Entwurf begutachtete und das Stencil auf der Haut sah. Erst einige Tage später bemerkte sie den Fehler… Ein anderer Fall war ein Satz in englischer Übersetzung. Ich erinnere mich nicht mehr genau, was der Fehler war, aber die Kundin und ich hatten ein Wort falsch ins Englische übersetzt. Dies fiel erst dem Freund der Kundin auf, als das Tattoo leider schon fertig war. In beiden Fällen konnten wir das Tattoo im Nachhinein noch so bearbeiten, dass es kaum noch auffällt. Mich haben beide Fälle trotzdem emotional sehr mitgenommen.
Sicherlich habe ich auch mal eine Linie verwackelt
Zu diesem Thema muss ich allerdings sagen, dass es hier ganz stark auf die Mitarbeit des Kunden ankommt. Die Verantwortung für die Linien liegt bei beiden. Ein guter Tätowierer mit vernünftigen Tattoomaschinen sticht keine wackeligen Linien – es sei denn, der Kunde bewegt sich. Ein Kunde, der einfach nicht still halten kann, mir während des Tätowierens wild gestikulierend seine Lebensgeschichte erzählt oder plötzlich nach seinem klingelnden Handy greift, der ist dann leider selber schuld, wenn die Linie verwackelt. Kleine Wackler, die zum Beispiel durch Zuckungen im Fuß entstehen, die auch der Kunde nicht kontrollieren kann, sind aber in den meisten Fällen leicht korrigierbar und fallen anschließend nicht mehr auf.
Blow-Out – das Schreckgespenst aller Kunden und Tätowierer
Wer sich mit Tattoo auskennt, hat von diesem Phänomen schon gehört. Ein Blow-Out entsteht, wenn Farbe aus der Linie läuft und wie ein Schatten oder blauer Fleck hinter dem Bild liegt. Mehrere Faktoren können ein Blow-Out, bzw. Auslaufen der Pigmente begünstigen oder verursachen:
der Tätowierer sticht zu tief
die verwendete Farbe ist zu hoch pigmentiert
der Kunde hat eine Bindegewebsschwäche bzw. problematische Haut
Googlet man die Problematik fällt auf, dass das Phänomen scheinbar noch nicht in Gänze ausgeleuchtet ist. Auf unzähligen Seiten findet man eben so viele Risikofaktoren, wie Ursachen.
In den meisten Fällen hat der Tätowierer schlichtweg zu tief gestochen. Ich habe jedoch auch schon Blow-Outs in Linien gesehen, die von absoluten Spitzentätowierern mit jahrelanger Berufserfahrung gestochen wurden. Jede Haut ist anders und ich denke, dass kein Tätowierer sich ganz davor schützen kann, eines Tages eine Haut falsch einzuschätzen und zu viel bzw. zu hoch pigmentierte Farbe einzubringen. Schade ist, wenn ein Tätowierer für einen solchen Fall gar keine Verantwortung übernehmen möchte und nicht bereit ist, die Tätowierung auszubessern. das Internet ist leider voll von Schilderungen solcher Fälle.
Meine Instagram-Erfahrung oder Die Sache mit der Bedeutung
Der Fall auf Instagram, den ich zu Beginn des Artikels erwähnt hatte, hat mit der Bedeutung der Tätowierung zu tun. Ein guter Freund bat mich, ihm einen Kompassstern auf sein Knie zu tätowieren und um den Unterschenkel einen schwarzen Balken. Ich war sehr aufgeregt und freute mich über diesen Auftrag. Beide Tätowierungen sind schwer zu stechen. Ein Balken muss immer Freihand auf das Bein aufgezeichnet werden, dabei müssen sich die Linien am anderen Ende genau treffen, der Balken muss an allen Stellen gleich breit sein und die Fläche muss gleichmäßig tiefschwarz gefüllt werden. Die Schwierigkeiten bei einer Knietätowierung liegen in der Positionierung. Ein Knie gleicht einer Hügellandschaft, die sich auch noch je nach Körperhaltung stark verändert. Als beide Tätowierungen fertig waren, war ich sehr erleichtert und stolz.
Das Foto der Tätowierungen war schon einige Tage auf meinem Instagram-Account (@buntspechttattoos) zu sehen, als ich plötzlich mit Nachrichten einer mir unbekannten Person regelrecht bombardiert wurde. Die Person, von der ich nicht mal weiß, ob sie männlich oder weiblich ist, beschimpfte mich aufs Übelste. Sie kommentierte unter dem Foto und antwortete auf positive Kommentare anderer Kunden, um mich zu diffamieren. Ich war absolut perplex und direkt brach mir der kalte Schweiß aus.
Welchen Fehler hatte ich gemacht?
Laut Aussage der Person, hatte ich mich nicht genügend über die tätowierten Motive informiert. Angeblich haben beide Tätowierungen in der osteuropäischen Mafia-Szene Bedeutungen und deklarieren den Träger als Dieb. Die schwarze Banderole sei eine Trauerbanderole und stehe diesbezüglich für den Tod. Ich muss zugeben – ich hatte den Träger zuvor nicht gefragt, warum er sich diese Tätowierungen wünscht. Außerdem habe ich keinen blassen Schimmer von osteuropäischen Mafia-Organisationen.
„Du stichst bestimmt auch ´ne 81 wenn jemand das will!“
… so die Person, die nicht müde wurde, mich zu beschimpfen. Die 81 steht stellvertretend für die Buchstaben im Alphabet: 8 für das H und 1 für das A und ist eine (mehr oder weniger) geheime Symbolik von Neonazis. Natürlich steche ich keine offensichtlich verwerflichen politischen Aussagen und ich möchte auch nicht „aus Versehen“ einem Kunden ein Motiv stechen, dass seinem Charakter nicht gerecht wird. Aber ich denke auch, dass man als Tätowierer nicht alles wissen kann. Hier hört mein Verantwortungsbereich auf. Wenn ich ein Mandala steche, hinterfrage ich auch nicht, ob der Kunde sanskrit-gläubig ist oder sich der Bedeutung des heiligen Kreises bewusst ist. Wenn ich vier Blumen tätowiere, weise ich den Kunden nicht darauf hin, dass die Zahl im Japanischen für Tod steht und frage, ob er zufällig Buddhist ist, da die Zahl vier dort heilig ist.
Die Tätowiererausbildung ist kein Studium der Symbolik
Kein Tätowierer kann alles wissen. Die meisten Tätowierer weisen daraufhin, dass sie bei fremden Sprachen und vor allem fremden Schriftarten keine Verantwortung übernehmen. Dies gilt jedoch sicher auch für jedes andere Motiv. Jede Blume hat eine Bedeutung, Tiere variieren je nach Kulturkreis in ihren Bedeutungen, Maori-Muster sind nicht einfach nur schön, auch sie haben einen tieferen Sinn. Das kann kein Mensch alles im Kopf haben. Wer trotzdem sicher gehen möchte, kann vorab googeln. Bedenke jedoch, dass der Tätowierer in den meisten Fällen keine Zeit hat, jedes Motiv zu zeichnen UND auch auch noch die Bedeutung zu hinterfragen und zu recherchieren. Ich glaube auch nicht, dass der Kunde diesen Mehraufwand an Arbeit gern bezahlen würde…
Beide tragen die Verantwortung
Abschließend, nachdem du jetzt vielleicht ordentlich abgeschreckt wurdest, möchte ich resümieren, dass im Falle einer neuen Tätowierung beide Beteiligten Verantwortung übernehmen müssen. Wir als Tätowierer übernehmen die hygienerelevanten Maßnahmen, wir üben unser Handwerk nach bestem Wissen und Gewissen aus und informieren dich über notwendige Pflegemaßnahmen im Anschluss an den Termin. Aber was du dir tätowieren lässt, musst du selber wissen. Kein Tätowierer beherrscht sämtliche Sprachen in Wort und Schrift und kennt sich mit kulturhistorischen Motiven und deren Bedeutung aus aller Welt aus. Ein Tätowierer ist auch nur ein Mensch und wenn du mitarbeitest, die Vorlage gründlich studierst und dich nicht blind in die Unternehmung stürtzt, können schon viele Fehlerquellen vermieden werden.
Bedenke aber, dass jede Tätowierung ein Risiko darstellt. Auch ein Termin bei einem Weltstar ist kein Garant dafür, dass dir die Tätowierung zu 100% gefällt oder dass sie sich definitiv nicht entzündet. Wir können durch verantwortungsbewusstes und konzentriertes Arbeiten tolle Bilder kreieren, aber eine Geling-Garantie kann niemand geben, denn Fehler sind menschlich…
2 Kommentare
Kommentieren →Hi, ich wollte nur kurz und höflich berichtigen, dass die 81 keine Nazi Geheimsprache ist sondern für Hells Angels steht. Die 88 ist Nazi Geheimsprache ;)… und der Stern auf dem Knie bedeutet auch nicht das man ein Dieb ist sondern das man vor niemanden auf die Knie geht und das auch nur wenn Sterne auf beiden Knien sind. Sterne auf den Schultern bedeutet dass man ein „Dieb im Gesetz“ ist. Das sind die Oberhäupter der Russischen Mafia. Ich glaube da wollte dich einfach jemand sinnlos abfucken. LG Bo
Hey Bo,
danke für deine Korrektur und deinen Kommentar zu meinem Artikel.
Liebe Grüße
Esther