Nicht erst seit den Aktionen der letzten Generation sind Nachhaltigkeit und Umweltschutz ein omnipräsentes Thema in den Medien und in unseren Köpfen. Der drohende Klimawandel und die schon jetzt spürbaren Auswirkungen lassen viele von uns ihre alltäglichen Gewohnheiten überdenken. Inzwischen sind es nicht mehr nur die Flugreisen und das eigene Auto, die hinterfragt werden.
Auch das Tätowieren rückt in den Fokus.
Wir fragen uns zu Recht: Welchen Einfluss hat mein Tattoo auf die Umwelt?
Immer mehr Studios werben aktiv mit ihrer umweltschonenden Arbeitsweise, der Verwendung nachhaltiger Materialien und einige geben sich selbst das Prädikat „sustainable“.
Was steckt dahinter und wie nachhaltig kann ein Tattoostudio arbeiten?
In diesem Artikel beleuchte ich die folgenden Aspekte im Zusammenhang mit dem Versuch, das Tätowieren umweltschonender zu gestalten:
- Tätowierer, Tätowiererinnen, Kunden und Kundinnen – wer muss Verantwortung übernehmen?
- Was hat es mit den neuen, vermeintlich umweltfreundlichen Produkten auf sich?
- Greenwashing und Marketing
- Welche Möglichkeiten gibt es, das Tätowieren umweltschonender zu gestalten?
Tätowieren ist ein Luxus, es ist ein kostspieliger Körperschmuck, den man sich zum Beispiel zum Zwecke der Selbstverwirklichung gönnt. Jeder Kunde und jede Kundin sollte bei der Terminvereinbarung bedenken, dass in einer Tattoositzung Abfall anfällt, der vermieden werden könnte. Körperschmuck ist nie notwendig und immer als Luxusgut zu bewerten.
Der Kunde trägt also eine Mitverantwortung bei der Produktion vermeidbarer Abfälle, wenn er einen Tattootermin bucht.
Tätowiererinnen und Tätowierer haben im Rahmen ihrer Arbeit in den vergangenen Jahren immer mehr Abfall produziert. Nadeln und Griffstücke werden häufig nicht mehr sterilisiert, da man auf hygienische Einwegprodukte umgestiegen ist.
Zu Beginn meiner Karriere hat man die Farben in wiederverwendbaren Flaschen selbst abgemischt. Einige alte Hasen hatten noch sichtbare Probleme mit der Verwendung von Einweghandschuhen. Zum Reinigen kaufte man Alkohol in Glasflaschen in der Apotheke und füllte diesen in Mehrwegflaschen um. Davon kann heute keine Rede mehr sein. Nach einem Tattooarbeitstag sind unsere Mülleimer gut gefüllt.
Einige Studios versuchen, dem entgegen zu wirken. Sie verwenden keine Einwegrasierer mehr, nutzen Ökostrom und reinigen, sofern das örtliche Gesundheitsamt es zulässt, mit umweltschonenden Mitteln.
Manche gehen sogar so weit, dass sie ihre Arbeitsmaterialien nicht mehr in Folien einwickeln, sondern lediglich nach Gebrauch desinfizieren.
Natürlich ist der Markt längst auf das Umweltbewusstsein der neuen Generation von Tattoostudios und deren Kundschaft aufmerksam geworden.
Seit einiger Zeit häufen sich die Angebote an vermeintlich umweltfreundlichen Tattoomaterialien in den Shops für Tattoobedarf.
Was hat es mit den neuen, vermeintlich umweltfreundlichen Produkten auf sich?
Zu der Produktpalette, die sich neu etabliert und mit Nachhaltigkeit wirbt gehören Einwegbecher und Einwegrasierer, sogenannte Bio-Folien, umweltfreundliche Reinigungsmittel und inzwischen sogar Einwegnadelmodule.
Außerdem gibt es Farbkappen aus Papier und Handschuhe, die sich mit einem Umwelt-Label schmücken.
Die meisten dieser Produkte bestehen aus Bio-Kunststoffen auf der Basis von Maisstärke oder Zuckerrohr.
Greenwashing und Marketing
Leider ist der Begriff „Bio“, den diese Produkte oft im Namen tragen sehr irreführend. Die wenigsten Verbraucher wissen, dass „Bio“ nur im Lebensmittelbereich für biologischen Anbau steht. Bei Non-Food-Produkten heißt es lediglich, dass das Produkt aus nachwachsenden Rohstoffen besteht.
Häufig heißen die Produkte nicht nur irgendwas mit Bio, sondern sind auch noch grün eingefärbt. Das macht einen verlockenden Eindruck für das eigene Gewissen und verleitet mich zu der Annahme, bestimmt etwas Gutes zu kaufen.
Wenn dann auch noch „biologisch abbaubar“ auf dem Produkt steht, habe ich wahrscheinlich alles richtig gemacht oder?
Leider sind nicht alle biobasierten Kunststoffe tatsächlich abbaubar. In der Realität sind viele dieser Kunststoffe auf Basis nachwachsender Rohstoffe nicht mal recyclebar. Sie werden bei der Entsorgung über das Wertstoffsystem (Gelber Sack) aussortiert und verbrannt.
Des Weiteren sind auch abbaubare Produkte nicht immer kompostierbar, wie wir uns das vorstellen. Die meisten verrotten im heimischen Kompost nicht. Sie bräuchten Laborbedingungen mit bestimmten Temperaturen und Luftfeuchtigkeit, um sich zu zersetzen.
Ist ein biobasierter Kunststoff als abbaubar deklariert und man schafft es tatsächlich, ihn zu kompostieren, ergibt sich ein weiterer Wermutstropfen. Nach dem Kompostieren entsteht keine fruchtbare Erde. Da es sich um ein hochverarbeitetes Produkt handelt, entsteht lediglich tote Masse, die keine Mikroorganismen beherbergt. Es gibt folglich keinen Gewinn für meinen Kompost.
Und jetzt kommt der ganz große Witz an der Sache mit dem abbaubaren Produkten:
WIR DÜRFEN ALS TATTOOSTUDIOS GAR NICHT KOMPOSTIEREN.
Jeder Abfall, der im Tätowierprozess entsteht, ist potentiell kontaminiertes Material und muss in der schwarzen Restmülltonne zur Verbrennung entsorgt werden.
Funfact am Rande: Abbaubare Rasierer oder Nadelmodule müsste ich auch erstmal von ihren Bestandteilen aus Metall befreien, bevor ich sie dem Kompost zuführe…
Aber wenn die Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen, entsteht in der Verbrennung doch sicherlich weniger CO2, als bei Produkten aus erdölbasierten Kunststoffen oder?
Ja, es stimmt, dass Produkte aus Polylactid Acid (PLA, Maisstärke) beispielsweise weniger CO2 bei ihrer Verbrennung freisetzen, als ihre konventionellen Kollegen aus Erdöl.
Allerdings müssen wir an dieser Stelle nochmal zum Thema „Bio“ zurückkommen, um die alten und die neuen Produkte vergleichen zu können.
Biokunststoffe heißen zwar Bio, ihre Inhaltsstoffe werden jedoch nicht biologisch angebaut, sondern konventionell.
Ich habe mir einige Reportagen zum konventionellen Maisanbau angeschaut und was da passiert, ist wirklich schlimm für unsere Umwelt. Konventionelle Landwirtschaft arbeitet nicht nur mit schädlichen Düngemitteln und Pestiziden, die unsere Artenvielfalt bedrohen. Der Anbau in Monokultur führt zur Versandung der Böden, Mikroorganismen finden dort kein Zuhause mehr. Der Boden kann kaum noch Wasser speichern, die Bewässerung muss intensiviert werden und die Wüstenbildung nimmt zu.
Was ich jedoch noch gewichtiger finde ist, dass für den Anbau immer mehr landwirtschaftlich genutzter Flächen in Brasilien Regenwald gerodet wird. Und ja, Mais für Biokunststoffe kommt größtenteils aus Brasilien. Als wäre das noch nicht schlimm genug, steht der Anbau von Mais (und natürlich Zuckerrohr und was noch alles für biobasierte Kunststoffe benutzt wird) in direkter Konkurrenz zum Lebensmittelanbau.
Durch diese ganzen Fakten komme ich an einen Punkt, an dem ich das Wort Greenwashing ins Spiel bringen muss. Kaum ein Verbraucher, sei es jetzt der Besitzer eines Tattoostudios oder ein Tattookunde, hat die Möglichkeit oder die Weitsicht, sich diese ganzen Faktoren zu erarbeiten und zu recherchieren, um eine angemessene Bewertung seines Handelns oder Konsumieren vorzunehmen.
Der Verbraucher liest „bio“ oder „nachhaltig“ oder „nachwachsend“ oder „abbaubar“ und denkt, er macht es richtig.
Greenwashing heißt, ich verkaufe ein Produkt, mit dem der Kunde sich ein reines (grünes) Gewissen kaufen kann. Es kann jedoch zum jetzigen Zeitpunkt niemand sagen, ob dieses Produkt auch nur einen minimal besseren Einfluss auf die Umwelt hat, als ihre Vorgänger.
Die Deutsche Umwelthilfe hat es auf ihrer Seite ganz nachvollziehbar beschrieben. Von dort bezog ich eine Vielzahl an Informationen, die in diesem Artikel dargestellt sind.
Für eine objektive Bewertung der „Bio-Materialien“ müssten wir zunächst eine Ökobilanzierung vornehmen, die alle Aspekte der Produkte berücksichtigt, diese in Wirkungskategorien auf unsere Erde gliedert und dann erst können wir bewerten.
- Welche Rohstoffe wurden verwendet?
- Wie wurden die Rohstoffe angebaut oder abgebaut?
- Welchen Transportweg legten sie zurück?
- Wieviel an Ressourcen brauche ich zur Herstellung (Wasser, Energie)?
- Welche Emissionen hat die Herstellung und der Abbau oder das Verbrennen?
- Gibt es eine Konkurrenz zum Nahrungsmittelanbau?
- Ist der Regenwald involviert?
Eine solche Bilanzierung hat bisher noch niemand für die biobasierten Materialien im Vergleich zu den herkömmlichen Materialien gemacht, was mich nicht wundert.
Die deutsche Umwelthilfe vermutet, dass biobasierte Kunststoffe generell keinen positiveren Effekt auf die Umwelt haben, als Kunststoffe auf Erdölbasis. Die Verbraucherschutzzentrale sieht das genauso, wie ich im Rahmen meiner Recherchen im Kontakt mit der Beratungsstelle herausgefunden habe.
Auch, wenn die biobasierten Kunststoffe in der Verbrennung weniger CO2 erzeugen, stehen sie im Vergleich mit erdölbasierten Plastik nicht besser da, da niemand den gesamten Prozess und die Wege in der Herstellung mit in die Waagschale gelegt hat.
Es ist also keinesfalls nachgewiesen, dass die (im Übrigen deutlich teureren neuen Produkte) besser für die Umwelt sind.
Welche Möglichkeiten gibt es, das Tätowieren umweltschonender zu gestalten?
Aktuell geht der Trend zu Mini-Tattoos. Viele Kundinnen und Kunden sammeln kleine Tattoos, die sich über den Körper verteilen. Plant man mehrere kleine Tattoos, kann man diese gesammelt in einer Sitzung stechen. So hat man nur einmal den Aufwand für Verpackung, Einwegnadeln und Co.
Das gleiche gilt für Nachstecharbeiten. Wenn du dich regelmäßig tätowieren lässt, lass das Nachstechen am besten innerhalb einer weiteren Sitzung für ein neues Tattoo mitmachen. Ein extra Termin für das Nachstechen benötigt wieder einen ganzen Arbeitsplatz voll Einwegmaterialien, also viel Abfall.
Wenn deine Haut ans Rasieren gewöhnt ist und nicht mit kleinen Entzündungspickeln reagiert, bereite deine Haut zuhause mit deinem eigenen Rasierer vor. So spart man den Einwegrasierer im Studio.
Überlege dir vorher genau, was du dir tätowieren lässt. Spontane Schnellschüsse führen oft zu vermeidbaren Ergänzungssitzungen, weil Kunde/Kundin doch noch etwas verändert oder ergänzt haben möchte. Auch hierbei lässt sich eine ganze Artbeitsplatzausstattung einsparen.
Umweltschutz auf Kosten der Hygiene
Als gestandener Hygiene-Nerd möchte ich an dieser Stelle dringend davon abraten, Einwegprodukte einzusparen, die auf Kosten der Hygiene im Arbeitsprozess gehen.
Arbeitsflächen oder Arbeitsmaterialien nicht abzudecken, weil es Verpackungsmüll spart, bedeutet ein Infektionsrisiko!
Auch frische Tätowierungen bedürfen eines Schutzes durch einen Folienverband . Die Behandlung einer entzündeten Tätowierung ist um einiges abfallintensiver, als einmal eine dünne Folie zum Schutz der offenen Wunde zu verwenden.
Bei der Verwendung von umweltfreundlichen Reinigungsmitteln sollte jeder Tätowierer und jede Tätowiererin immer darauf achten, dass die Produkte ein VAH Label tragen. Die VAH Liste stellt sicher, dass die Produkte auch ausreichend keimtötend wirken, um die höchstmögliche Sicherheit für alle Beteiligten zu gewährleisten.
Fazit zum nachhaltigen Tätowieren
Tätowieren lässt sich zur Zeit nicht umweltfreundlich zu gestalten. Die Pflicht zur Sorgfalt bei der Hygiene und die vielen Einwegprodukte erzeugen eine Menge Abfall. Die verwendeten Produkte schädigen die Umwelt in der Herstellung, im Transport und der Entsorgung.
Ich finde, du solltest dich jetzt trotzdem nicht schlecht fühlen oder deine Tattoopläne in Frage stellen. In diesem Zusammenhang dürfen wir nicht vergessen, dass in Deutschland 100 große Firmen für 71% des gesamten CO2 Ausstoßes verantwortlich sind. Alles, was wir für die Umwelt tun ist wichtig und richtig. Viele kleine Tropfen auf dem heißen Stein verändern auch etwas. Ohne das Zutun von Politik und den Menschen, die diese durch ihren Reichtum und Einfluss diktieren, schaffen wir es trotzdem nicht. Wir können jedoch versuchen, den Luxus, den wir uns an überflüssigem CO2 gönnen, auszugleichen oder an anderer Stelle einzusparen.
Wenn du dir ein großes Tattoo in mehreren Sitzungen stechen lässt, kannst du zum Ausgleich auf eine Flugreise verzichten. Man könnte auch für einige Monate den Fleischkonsum einstellen oder das Auto weniger in der Freizeit nutzen.
Studioinhaber und Tätowierer haben die Verantwortung, sparsam mit den Materialien und Ressourcen umzugehen und die Kundschaft auf die oben genannte Problematik hinsichtlich Mini-Tattoo und Nachstechsitzungen zu sensibilisieren.
Mit der nötigen Motivation und ein bisschen Kreativität kann jeder von uns CO2 einsparen und seinen Beitrag für die Umwelt leisten und trotzdem ein schönes Tattoo bekommen oder stechen. Und das ohne den Einsatz teurer und fragwürdiger Materialien oder den Verzicht auf den höchsten Hygienestandard.
Quellen:
https://www.duh.de/bioplastik/
https://www.duh.de/fileadmin/user_upload/download/Projektinformation/Kreislaufwirtschaft/Bioplastik/211202_DUH_Faktencheck_Bioplastik_2021.pdf
https://www.duh.de/fileadmin/user_upload/download/Projektinformation/Kreislaufwirtschaft/Bioplastik/211202_DUH_Infopapier_Bioplastik.pdf
https://www.duh.de/fileadmin/user_upload/download/Projektinformation/Kreislaufwirtschaft/Verpackungen/180920_DUH_Ergebnisbericht_Kompostierungsumfrage.pdf
https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/lebensmittel/lebensmittelproduktion/biokunststoffe-7522
https://www.wwf.de/themen-projekte/landwirtschaft/bioenergie/bioplastik
https://www.youtube.com/watch?v=MbJOQsK42iE