Safespace Tattoostudio?

Wer viel auf Social Media unterwegs ist, dem ist aufgefallen, dass immer mehr Tattoostudios die Bezeichnung „Safespace“ oder „Saferspace“ in ihrer Bio oder Beschreibung haben.

Was hat es damit auf sich?

Immer häufiger werden Missbrauch-Skandale innerhalb der Tattooszene sichtbar. Ehrenamtliche Accounts sammeln Berichte von Opfern und machen diese auf ihren Kanälen sichtbar. In den Berichten sind überwiegend männliche Tätowierer im Fokus. Es werden Situationen im Zusammenhang mit Tattooterminen geschildert im Rahmen derer die Tätowierer den meist weiblichen Kunden gegenüber sexuell übergriffig oder anderweitig respektlos handeln.

Schlagworte, die in diesem Zusammenhang auftauchen sind toxische Männlichkeit, Machtmissbrauch und Mansplaining.

Tätowierern (Deklaration Gendern) wird vorgeworfen, mit Kunden in unangemessener Weise zu flirten, sie verbal zu erniedrigen und ihre Körper zu kommentieren. Manche sollen unnötige Nacktbilder von Kunden angefertigt und verbreitet oder Kontaktdaten zweckentfremdet für private Kontaktaufnahmen genutzt haben.

Safespace Tattoostudio



In vielen Fällen berichten Kundinnen sogar von unnötigen Berührungen an intimen Körperstellen, die kein Teil der Tätowierung waren. Auch Angebote, dass anstatt Geld körperliche Gefälligkeiten als Zahlungsmittel gewünscht sind, kommen wiederholt zur Sprache.

Weibliche Täter sind selten und treten meist als Täterschützer in Erscheinung, indem sie männliche Kollegen decken, verteidigen oder Beschwerden verharmlosen und verleugnen.

In den Berichten über Missbraucherfahrung bleiben die Verfasser anonym. Auch vermeintliche Täter oder Opfer treten nicht namentlich in Erscheinung.

In der Vergangenheit gab es auch Instagram-Accounts, die Täter namentlich genannt haben. Dies hatte zur Folge, dass die Accounts strafrechtlich belangt und schließlich gelöscht wurden. Die Namen der Täter (mir sind nur männliche Täter bekannt) haben sich aufgrund hoher Followerzahlen und einer unterstützenden Fankultur rasch von den Anschuldigungen erholt.

Schriftliche Awareness-Konzepte und Commitment-Klauseln

Das Entsetzen über diese Vorfälle führt bei immer mehr Studios zu dem Wunsch, den Umgang mit Kunden, der eigentlich für jeden Dienstleistungsberuf selbstverständlich sein sollte, moralisch zu definieren. Das eigene Studio als Save Space oder Safer Space zu deklarieren, soll Awareness der mitarbeitenden Personen unterstreichen und Kunden ein Gefühl von Sicherheit vermitteln

Leitlinien für Savespace Konzepte kann jeder im Internet finden, um diese für das eigene Studio schriftlich abzubilden und KundInnen zugänglich zu machen.

Diese Leitlinien heißen Commitment oder Awareness Konzept und beinhalten oft folgende Punkte: (Quelle: Instagram; keinsafespace_de)

  1. Respekt gegenüber jeder Ethnie, Gender, Herkunft,…
  2. Transparente Kommunikation und Konsens über das Vorgehen
  3. Vertraulichkeit
  4. Empathie
  5. Körperliche Vielfalt
  6. Anti-Diskriminierung
  7. Anti-Harrassment
  8. Sober Studio
  9. Accountability

Die Punkte sind gut, ehrbar und nachvollziehbar.
Trotzdem regt sich bei uns Widerstand.


Respektvoller Umgang mit jedem Menschen ist für uns kein Prädikat, sondern eine Selbstverständlichkeit.

Auch uns bei Zum Buntspecht Tätowierungen haben die Vorfälle sprachlos zurückgelassen. Trotzdem regt sich bei uns ein Gefühl des Widerstands gegen die vorgeschriebenen Konzepte und Safespace Commitments. Das ungute Gefühl, die aufgezählten Punkte zu kopieren und unreflektiert auf die eigene Website zu packen, speist sich aus vielen Gründen, die ich in diesem Artikel aufschlüsseln möchte.

Zum Buntspecht Tätowierungen ist ein frauengeführtes Unternehmen mit einer Kundschaft, die zu schätzungsweise 75 % weiblich ist. Schon lange vor der Zeit der schlimmen Machtmissbrauch-Skandale in der Tattoo-Branche war es immer unser uneingeschränktes Ziel und unser Wunsch, dass jeder Mensch sich bei Zum Buntspecht Tätowierungen sicher und willkommen fühlt.

Plötzlich sollen wir unser Konzept, unsere Arbeit und unsere Awareness auf ein paar Punkte reduzieren und diese auch noch unterschreiben, um die Sicherheit der Kunden nachzuweisen? Das gefällt uns nicht. Ein vorgefertigtes Konzept unreflektiert zu kopieren und zu unterschreiben ist einfach.

Die Tattoobranche im Wandel

Die Tattoobranche unterliegt einem sichtbar fortschreitenden Wandel.
Tätowieren war über lange Zeit eine undefinierte Branche (Kunst? Handwerk? Dienstleistung?) innerhalb derer sich überwiegend männliche Tätowierer relativ unreguliert entfaltet haben. Die Gerüchte rund um systematische Steuerhinterziehung, fehlende Hygienekonzepte, Gendergaps und Verbindungen zu Rocker- Rotlicht- und Drogenmilieus waren stellenweise nicht unbegründet. Lange Zeit war es auch üblich, Tätowierer als unantastbare Ikonen zu vergöttern. Das Phänomen kennt man auch von Ärzten.

Veränderungen in der Szene sind spürbar und werden durch Social Media sichtbar gemacht.

Inzwischen gibt es immer mehr weibliche Tätowierer und solche, die den Beruf auf dem zweiten Bildungsweg wählen. Die klassiche Underground-Szene wird nach meiner subjektiven Wahrnehmung kleiner. Auch die Behörden, beispielsweise die Gesundheitsämter, sind durch die steigende gesellschaftliche Akzeptanz auf unsere Branche aufmerksam geworden.

Die Corona-Pandemie hat dazu beigetragen, dass viele Tätowierer zu einer neuen Selbstwahrnehmung kamen. Hygienepläne wurden wichtiger, denn je. Wir wurden öffentlich den körpernahen Dienstleistungen zugeordnet und wir haben uns verbündet im Kampf gegen Schließungen.

Inzwischen haben wir einen Berufsverband, in dem jeder Mitglied werden und dabei helfen kann, die Branche zu professionalisieren. Hygieneseminare, anwaltliche Unterstützung bei der Ausfertigung von Arbeitsverträgen oder eines Konzepts zum Datenschutz sind hier nur einige Eckpunkte, die Veränderungen aufzeigen.
Die EU-weite Debatte um die neuen Farben, die für mehr Verbrauchersicherheit sorgen sollen, bestätigt das ebenfalls.

Professionalität speist sich für uns aus mehr Aspekten, als einem Dutzend woker Selbstverpflichtungen.

Wir arbeiten seit Jahren für eine Professionalisierung der Branche und das auf so vielen Ebenen, dass eine Ausführung das Volumen des Artikels sprengen würde.

Ein kopiertes Awareness-Konzept wird den hohen Anforderungen nicht gerecht, die sich professionelle Studios, männlich, weiblich oder divers geführt, selbst auferlegen.

Jeder Tätowierer, der den Beruf ernst nimmt, hat sich ungelernt und ohne behördliche Unterstützung schon Tage und Nächte um die Ohren geschlagen, um herauszufinden, wie ein professionelles Auftreten und seriöses Arbeiten in dieser Branche funktioniert.

Wir haben keine staatlich regulierte Ausbildung. Viele Bereiche unserer Tätigkeit sind nicht definiert und nirgendwo ist etwas erklärt. Ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich von der Berufsgenossenschaft oder der Industrie und Handelskammer, dem Gesundheitsamt oder einer anderen Behörde den Satz gehört habe „Achso, Sie sind ein Tattoostudio, ja das weiß ich jetzt auch nicht, was dann gilt.“

Gleiches lässt sich auch auf viele „alte Hasen“ der Szene übertragen, die seit Jahren erfolgreich in diesem Beruf arbeiten, indem sie mit wertschätzendem und respektvollem Umgang großartige Tattoos auf unzählige Körper gezaubert haben.

Die ältere Generation von TätowiererInnen hat es nicht leicht, mit Social Media, DSGVO, neuen Marketingkonzepten und allen Veränderungen Schritt zu halten und nicht den Anschluss zu verlieren. Auch ihnen, die den Weg für unsere beruflichen Erfolg geebnet haben, sind wir es schuldig, die Forderung nach Safespace-Konzepten nicht unreflektiert stehen zu lassen.

Nicht alle Punkte aus einer Awareness, Safespace oder Commitment Erklärung sind notwendig oder umsetzbar, wenn dein Tattoostudio professionell arbeitet.

Besonders entsetzt mich der Punkt „Sober Studio“, der impliziert, es sei in Tattoostudios Gang und Gäbe, bekifft oder unter dem Einfluss von Alkohol und anderen Rauschmitteln zu arbeiten.

Ein Beispiel, um einen solchen Konflikt zu verdeutlichen:
Im Awareness-Konzept wird vorgeschlagen, dass jeder Kunde vor der Anfertigung eines Fotos um Erlaubnis gebeten werden muss.
Bei uns unterschreiben Kunden vor dem Tätowieren eine Einwilligungserklärung in dessen Rahmen sie unserer Datenschutzerklärung zustimmen. Die Datenschutzerklärung legt den Umgang mit Fotos und Kundendaten fest und ist seit DSGVO Pflicht für alle Unternehmen!



Das Portfolio ist für uns ein Arbeitszeugnis und unser wichtigstes Gut für Bewerbungen, Neukundengewinnung und unsere ganze Karriere.

Es ist auch wichtig, einen Fotobeweis für unsere Arbeit zu haben. Auch wir möchten uns absichern und dokumentieren, dass wir das Tattoo allen Anweisungen und der Einwilligungserklärung entsprechend angefertigt haben.

Ein professionell arbeitendes Studio kann eine Datenschutzerklärung vorlegen.
Im Sinne der DSGVO und der daraus resultierenden Datenschutzerklärung dürfen wir Kundendaten gar nicht nutzen, um Kunden privat anzuschreiben, anzuflirten oder schlimmeres.

Wenn du Opfer einer missbräuchlichen Verwendung der Fotos deines Körpers geworden bist, kannst du im Rahmen der DSGVO und in Kombination mit der Datenschutzerklärung deines Tattoostudios die falsche Verwendung nachweislich belegen.

Professionell arbeitende Studios haben diesem Fall also bereits vorgebeugt, was eine öffentliche Deklaration in Form eines Safespace-Konzeptes überflüssig macht.

Die Bezeichnungen Savespace oder Saferspace als Problem

Laut Definition ist ein Safespace meist inklusiv von Menschen mit einer festgelegten Vulnerabilität, zum Beispiel Diskriminierungserfahrung für Menschen, die aus der gleichen oder einer ähnlichen marginalisierten oder vulnerablen Gruppe kommen. Ein Safespace ist ein Raum, physisch oder virtuell, in dem Menschen bestimmter Gruppen sich sicher sein können, nicht verurteilt oder diskriminiert zu werden.

Safespace als Bezeichnung solcher Orte steht schon länger in der Kritik, weil Initiatoren und Gäste dieser Räume erkannt haben, dass kein Raum garantiert frei von Machtgefällen und Gewalt sein kann. Daher etablierte sich der Begriff Saferspace als Bezeichnung für einen Raum, der zumindest sicherer ist, als andere.

Ein Safespace kann beispielsweise ein regelmäßiger Treffpunkt für Frauen mit Gewalterfahrung sein, die sich in geschützter, nicht verurteilender Atmosphäre austauschen. Auch ein Treffen mit den engsten Freunden kann ein Safespace sein, in dem man sich angstfrei äußern kann, ohne verurteilt zu werden. In großen Städten gibt es exklusive Treffpunkte und gemeinsame Aktivitäten für People of Colour, auch das sind Safespaces, die von und für Gruppen geschaffen werden, die sich außerhalb dieser Spaces nicht immer sicher, gesehen und respektiert fühlen.

Gemein haben diese Orte, dass sie für eine vulnerable Minderheit geschaffen werden. Wie kann ein Tattoostudio, dass jeden Menschen gleichermaßen willkommen heißen soll, ein Saferspace sein?


Es entsteht nicht nur die Gefahr, dass mit dieser Bezeichnung für Tattoostudios die Zerfaserung des Begriffs vorangetrieben wird.

Meiner Einschätzung nach, ist es in vielen Studios praktisch nicht möglich, die Grundsätze eines Saferspace Konzeptes umzusetzen.

Tattoostudios sind Orte der Begegnung, an denen die unterschiedlichsten Menschen zusammen kommen. Begegnungen fremder Menschen bergen immer Risiken für Diskrimierung, Ausgrenzung Verletzung.

Beim Tätowieren fallen Worte und es kommt zu Berührungen. Worte und Berührungen können physisch und psychisch, negativ und positiv berühren. Es ist unser Bestreben, dass alle positiven und negativen Erfahrungen und Gefühle, die jeder Mensch bei Zum Buntspecht Tätowierungen sammelt, in einem Rahmen bleiben, der als angemessen und gemäßigt bezeichnet werden kann. Wir können es aber nicht garantieren.

Ein Beispiel:
Vor kurzem hatten wir Walk-In, also einen Tag für Tattoos ohne Termin. Der Warteraum war bereits ziemlich voll, als eine ältere Dame reinspazierte und rief:
„Ich suche jemanden, der mir einen tollen Indianer auf den Arm tätowiert!“
Mir stellten sich direkt die Nackenhaare auf und meine Augen wanderten fieberhaft durch den Warteraum, um festzustellen, ob sich jemand durch die Benutzung des Wortes „Indianer“ der älteren Dame angegriffen fühlen könnte.
Verhindern konnte ich die Situation nicht.

Opferschutz und Aufarbeitung sind wichtig

Ich stehe den Veränderungen in der Gesellschaft positiv gegenüber, die sich für den Schutz vulnerabler Gruppen einsetzen und Verletzungen, Diskriminierungen und Ausgrenzung sichtbar machen. Die Arbeit der Accounts, wie keinsafespace_de befeuern eine notwendige Diskussion und regen viele Tattoostudios zum Umdenken an.
Ich hoffe, dass die Berichte der Opfer in den sozialen Medien nicht nur dem stumpfen Kosumieren von schockierender Real-Life-Stories dienen. Viel mehr sollten sie uns aufzeigen, was jeder von uns im Rahmen eines Tattoo-Termins besser machen kann.

Professionalisierung statt anonymes Blaming

Anonymes Blaming in den sozialen Netzwerken, bei dem weder Täter, noch Opfer mit Gesicht und Namen dahinter stehen, führt jedoch dazu, dass alle Seiten sich erklären und rechtfertigen müssen. Das Opfer ist ebenso Anfeindungen ausgesetzt, wie vermeintliche Täter, echte Täter und alle unbescholtenen Studios. Der Generalverdacht schwebt über allen, wie ein Damoklesschwert.

Safespace Konzepte können helfen, die Tattoobranche sicherer zu machen. Die künstliche Einteilung in selbsternannte Saferspaces und solche, die es nicht sind, reicht meiner Ansicht nach nicht aus. Viel eher sollten wir uns fragen, welche Learnings wir aus den Berichten der anonymen Opfer im Internet mitnehmen können.

Dazu möchte ich aufzeigen, woran KundInnen ein professionell arbeitendes Studio erkennen können. Tattoostudios möchte ich auflisten, welche Anforderungen erfüllt werden müssen, um als professionell arbeitendes Studio wahrgenommen zu werden.

Wenn ein Tattoostudio keine Commitment- oder Awareness-Klausel auf seiner Website hat, heißt das nicht, dass es kein Saespace ist und umgekehrt. Jeder kann sich alles auf die Fahnen schreiben. Zuletzt bleibt es an uns, Menschen einzuschätzen, zu entscheiden, wo wir uns sicher fühlen und wem wir unser Vertrauen schenken.

Selbstwirksamkeit und Eigenverantwortung machen dich safe

Die aktuell vorherrschende Stimme im Internet wird mich vielleicht für den folgenden Satz kritisieren. Ich bin der Überzeugung, dass jeder von uns dazu beitragen kann, das Risiko zu minimieren, in eine missbräuchliche Situation zu kommen.

Sowohl Kunden, als auch Tätowierer laufen in jedem Kontakt Gefahr, missbräuchlichem Handeln oder falschen Anschuldigungen zu unterliegen.

Wie kann eine verantwortungsvolle Risikobewertung ablaufen?

Für Kunden

Prüfe die Professionalität.
Das Studio, das du dir als mündige, hoffentlich volljährige Person auswählst, um eine freiwillige und dauerhafte optische Veränderung in Form einer farbigen Körperverletzung herbeizuführen, sollte vorab der notwendigen Qualitätsprüfung für professionelles Auftreten und Arbeiten standhalten.
Achte auf Reinigungspläne, Desinfektionspläne und Hygienezertifikate, wenn du ein Studio auswählst. Du kannst auch vorab bei deinem örtlichen Gesundheitsamt anrufen und dich nach dem Tattoostudio deiner Wahl erkundigen.

Wenn das Studio dir keine schriftliche Einwilligungserklärung vorlegt, aus der hervor geht, was mit deinem Körper und deinen Daten passiert, tritt den Termin nicht an.

Wenn du dich für ein Tattoo entscheidest, triffst du eine eigenverantwortliche Entscheidung für die dauerhafte Veränderung deines Körpers. Dein Tätowierer muss davon ausgehen, dass du die geistige Reife besitzt, diese Entscheidung zu treffen. Du entscheidest selbstständig wer von uns dir welches Motiv an welche Körperstelle tätowiert.

Sprich über deine Wünsche.
Ein Tattoo soll deinen Körper ein Leben lang schmücken. Von allen Tätowierern, die ich kenne, sind 99 % dankbar für deine Einwände, deine Kritik am Motiv oder für Verbesserungsvorschläge deinerseits rund um deinen Tattootermin. Die meisten von uns haben durch die tägliche Arbeit mit Menschen viel Erfahrung im Umgang mit Gefühlen aller Art. Man lernt jedoch nie aus und wir sind froh und dankbar für jeden Menschen, der in der Lage ist, seine Bedürfnisse zu artikulieren.

Wenn der Kontakt zum Tätowierer aus einer privaten Interaktion entsteht (Tinder-Match, Party, Freunde von Freunden,…) muss der Tätowierer im Tattoostudio auf einen professionellen Modus umschalten. Wenn du das Gefühl hast, nicht als Kunde wahrgenommen zu werden, tritt den Termin nicht an!

Lass dich nicht minderjährig tätowieren.
Berichte über Missbrauch im Rahmen eines Tattootermins beginnen oft mit den Worten „Ich war 16“ oder „Ich war minderjährig“. Seriöse Tattoostudios tätowieren minderjährige KundInnen nicht oder zumindest nicht ohne Einverständnis der Eltern. Wenn deine Erziehungsberechtigten ihr Einverständnis gegeben haben, haften sie für deine Sicherheit. Am besten beziehst du deine Eltern direkt in die Auswahl des Tattoostudios mit ein und nimmst sie mit zum Termin. Minderjährige sind eine besonders schutzbedürftige Gruppe in unserer Gesellschaft. Nimm diesen gesetzlich festgelegten Schutz zu deiner eigenen Sicherheit ernst.

Wenn du Probleme mit Nacktheit hast, kannst du alle Tattoostudios in deiner engeren Auswahl fragen, ob sie organisatorisch in der Lage sind, dir ein privates Setting zu gestalten (bei uns gibt es beispielsweise Einzelräume, die man belegen kann, sodass man keine anderen KundInnen und TätowiererInnen sehen muss) und du kannst einen Tätowierer auswählen, bei dem du dich nicht durch seine/ihre geschlechtliche Zuordnung in Verlegenheit gebracht fühlst.

In den meisten Studios hast du die Möglichkeit, die Tätowierer vorab bei einem persönlichen Gespräch kennenzulernen.
Nutze die Möglichkeit, um dir vorab einen Eindruck der Tätowierer deiner Wahl zu machen. Wir machen das im Rahmen der offenen Spechtstunde. Zweimal pro Woche haben Kunden die Möglichkeit, uns ohne Termin und unverbindlich kennenzulernen.

Prüfe öffentliche Rezensionen des Tattoostudios. Google-Bewertungen oder Rezensionen auf anderen Portalen zeigen dir, wie andere Kunden den Besuch im Studio deiner Wahl bewertet haben.

Für Tätowierer

Um Tattoostudios, die Kunden unangebracht behandeln, die Existenzgrundlage zu entziehen, braucht es eine starke Gemeinschaft, eine Professionalisierung der Branche auf allen Ebenen.

Wenn ich mir als Tätowierer nicht die Mühe mache, eine stichhaltige Datenschutzerklärung zu formulieren oder meinen Kunden keine Einverständniserklärung unterschreiben lasse, muss ich mich nicht wundern, wenn meine Kunden sich in manchen Punkten übergangen fühlen.

Sichtbare Reinigungs- und Desinfektionspläne gehören zum Standard.

Egal, ob du alleine oder in einem Team arbeitest, solltest du regelmäßig den Austausch mit anderen Tätowierern suchen, um Kundenkontakte zu reflektieren und aufzuarbeiten. Niemand von uns ist fehlerfrei und auch Tätowierer erleben bei der Arbeit übergriffiges und unangebrachtes Verhalten seitens der Kunden. Damit diese Erlebnisse nicht zu einer Verbitterung führen, dich dazu bringen, alle Kunden unter Generalverdacht zu stellen oder deine Empathie für Kunden unter dem Erlebten leidet ist der Austausch mit anderen wichtig.

Auch Guestspots in anderen Studios können dabei helfen, die eigene Awareness und den eigenen Umgang mit Kunden zu schulen.

Mein wirksamster Lieblingstipp, um die eigene Empathie für seine Kunden zu erneuern und zu stärken lautet: Begib dich regelmäßig selbst in die Kundenperspektive. Buche einen Tattootermin in einem Studio deiner Wahl, in dem dich keiner kennt und niemand weiß, dass du selbst tätowierst. Ich bin immer wieder überrascht, wie verletzlich und ausgeliefert man sich dort fühlt. Auch wird einem in diesem Setting wieder deutlich, welche Bedürfnisse man als Kunde verspürt, die einem im Arbeitsalltag gar nicht mehr auffallen.

Um die eigene Accountability sichtbar zu machen
, kannst du dein Unternehmen auf Google registrieren. Öffentliche Kundenrezensionen geben potentiellen Kunden ein Gefühl von Sicherheit und einen authentischen Eindruck deiner Arbeit.
Wenn du keinen Google-Eintrag haben möchtest, kannst du mit einem anonymen Online-Fragebogen deine Kunden nach ihrer Bewertung deiner Arbeit fragen. So bekommst du einen Einblick, welche Punkte in deinem Arbeitsablauf verbesserungswürdig sind.

Ein persönliches Fazit

In meinem Artikel wird deutlich, dass ich Awareness-Konzepte kritisch sehe.
Ich möchte ein solches Konzept nicht unterschreiben und veröffentlichen.

  • Wir sind ein Ort der Begegnung und können die Interaktion verschiedener fremder Menschen nicht kontrollieren.
  • Wir arbeiten auf einer sehr professionellen Ebene. Fragen zum Umgang mit Kundendaten und Fotos sind in unserer Datenschutzerklärung klar geregelt.
  • Dass niemand Drogen konsumiert, ist für uns eine Selbstverständlichkeit.
  • Körperliche Vielfalt und die Akzeptanz derselben, wird bereits in unserer Teamaufstellung sichtbar.
  • Accountability, also eine Rechenschaftspflicht oder Verantwortlichkeit machen wir sichtbar, indem wir uns sichtbar machen. Der Firmeneintrag bei Google, über den jeder Kunde das Unternehmen bewerten kann, zeigt, dass wir Kritik offen gegenüber stehen. Außerdem nutzen wir ein Bewertungssystem, in dem Kunden nach ihrem Besuch per Mail gebeten werden, eventuelle Kritik zu äußern.
  • Wir sind gegen Diskriminierung. Meine Erfahrungen mit den sozialen Medien zeigen mir jedoch, dass ich in manchmal ungewollt dem Vorwurf diskriminierenden Verhaltens ausgesetzt bin. Meine Generation ist im Grundschul-Karneval von den Eltern als Indi*ner verkleidet worden und hat N*gerküsse gegessen. Wir müssen heute lernen, wo Diskriminierung anfängt. Sensibilisierung und das Erwerben von Awareness klappt jedoch nicht von heute auf morgen. Daher fühlt es sich für mich nicht richtig an, zu unterschreiben, dass ich frei von Diskriminierung handeln kann. Ich kann jedoch sagen, dass ich jeden Tag mehr dazu lerne, in welchen Bereichen Diskriminerung versteckt sein kann, sodass ich mein Team und mich immer weiter sensibilisieren kann.

Ich würde mir wünschen, dass wir alle etwas nachsichtiger, umsichtiger und eigenverantwortlicher denken, handeln und miteinander umgehen, um diese Gesellschaft zu einer besseren zu machen. Rücksichtnahme, Respekt und Wertschätzung gilt es an jedem Tag im Miteinander mit anderen Menschen zu trainieren und anzuwenden.

Anonymes Blaming in jede Richtung und der moralische Zeigefinger auf Social Media können Awareness schaffen. Ich glaube hingegen, dass menschliche Strukturen und das Zusammenleben komplexer sind, als dass man sie auf wenige Schlagworte und Leitsätze reduzieren kann.

Dieser Artikel soll dich befähigen, ein professionelles Studio zu erkennen oder zu führen, als Kunde oder Tätowierer. Wenn du Einwände, Kritik oder Fragen hast, schreibe gern in die Kommentare oder sende mir eine Mail.

6 Kommentare

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Phu – liebe Esther,
ich bin immer wieder beeindruckt, wie viel Zeit du dir nimmst, solche Themen zu überdenken, mit deinen Kolleginnen zu diskutieren, eure Gedanken zu reflektieren und letzten Endes für uns Kunden/innen niederzuschreiben.
Persönlich hatte ich schon mal einen Tätowiertermin (NICHT bei euch) bei dem ich mich sehr unwohl und „ausgeliefert“ gefühlt habe. Da ich nicht mit einem „unfertigen Werk“ nach Hause fahren wollte, habe ich mich der Situation ergeben. Am Rande bemerkt, es war eine Tätowiererin. Heute, mit mehreren anderen Tätowiererfahrungen, würde ich das nicht mehr tun.
Nun zu deinen Zeilen… deine/eure Haltung finde ich – durch und durch – bemerkenswert!
Immer wieder muss ich feststellen, dass ihr eigene Werte habt, zu denen ihr steht. Das Tagesgeschehen in der Branche und der Welt, geht nicht ungeachtet an euch vorbei. Wenn durchbebtest beschäftigt, oder berührt, dann lasst ihr und teilhaben. Ihr seit nahbar, authentisch, ansprechbar und ihr seht den Mensch und nicht nur eine Leinwand.
Persönlich kann ich sagen, dass ich mich sehr bei euch wohl gefühlt habe und ich mich schon auf unser nächstes gemeinsame Projekt freue (auch wenn ich es noch nicht zum Vorgespräch in die Spechtstunde geschafft habe).
Danke für eure Offenheit und euer „Mensch“ sein <3
Auf bald… Tanja

Liebe Tanja, vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, so einen ausführlichen und liebevollen Kommentar zu verfassen. Deine Worte berühren mich sehr, weil du bestätigst, wofür wir das alles machen.
Ich freue mich, wenn du es bald zu uns schaffst 🙂
Esther

Liebe Esther,
vielen Dank für den hervorragend reflektierten Artikel. Was ich mich im Kontext von Safe(r)space-Konzepten immer frage, und was ich gerne als Frage weitergeben würde, ist, wie das Konzept mit guter, ehrlicher Beratung zusammengehen soll. Also beispielsweise Offenheit gegenüber körperlicher Vielfalt, wenn es darum geht von bestimmten Stellen aufgrund von körperlichen Merkmalen abzuraten. Du hattest an anderer Stelle mal das Beispiel gemacht, dass du jemandem, der sehr dünn ist, von einem Schriftzug auf den Rippen abraten würdest, weil der Schriftzug dort wellig aussehen würde. (Ich hoffe, ich habe das richtig zusammenbekommen.) Was man für einen Körper mitbringt ist offensichtlich kein Freifahrtsschein dafür, ins Unhöfliche abgleitend direkt zu sein, aber ich frage mich schon, ob man wirklich so viel Fingerspitzengefühl besitzen kann, dass a) sich niemand von „das würde da nicht gut aussehen, weil dein Körper da so und so ist“ verletzt fühlt und b) man es noch so klar kommuniziert die Nachricht immer noch bei allen ankommt. Frage ich aber ehrlicherweise als jemand, der mit Zwischentönen teilweise arge Probleme hat.
Liebe Grüße und vielen Dank für die tolle Arbeit,
Katja

Liebe Katja, das ist wirklich ein schwieriges Thema, das viel Fingerspitzengefühl erfordert und natürlich kann man nicht immer den richtigen Ton treffen, dafür sind wir Menschen zu unterschiedlich und wir als Tätowierer auch gar nicht psychologisch geschult. Ich trete trotzdem lieber in ein Fettnäpfchen und entschuldige mich gern dafür, als dass ich jemandem ein Tattoo steche, von dem ich aufgrund der körperlichen Gegebenheiten besser abgeraten hätte. Der Kunde möchte das perfekte Tattoo für ihn und dass muss mein Ziel sein. Das ist vergleichbar mit den Schmerzen. Niemand will sie, aber sie sind unvermeidbar beim professionellen Tätowieren…
Liebe Grüße
Esther

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