Tätowieren auf dem Flowmarkt

Vergangenen Sonntag habe ich auf einer öffentlichen Veranstaltung namens Flowmarkt tätowiert. Dieser Ausflug des Buntspechts ist wohl vergleichbar mit der Arbeit auf einer Tattooconvention. Nur, dass um mich herum keine anderen Tätowierer gearbeitet haben, sondern andere Aussteller verschiedenste Produkte anpriesen.

Der Flowmarkt

Langjährige Kunden von mir organisieren den Flowmarkt regelmäßig in verschiedenen Städten. Angeboten werden dort neben Second Hand Kleidung und Schmuck auch Upcycling Gegenstände, außergewöhnliches Essen und Getränke, handgenähte Kleidung und alles, was die urbane Szene kreativer Kleinunternehmer her gibt.
Dementsprechend anregend war auch die Atmosphäre und das Publikum. Ich habe mich sofort wohl gefühlt unter all den bunten Leuten verschiedenster Subkulturen. Es gab wahrscheinlich keinen Kleidungsstil, keine Tattoo-Mode, keine Plug-Größe und keine Haarfarbe, die nicht vertreten war.

Urbanität und Nachhaltigkeit

Ein Dj sorgte für angenehme Hintergrundmusik und die Gesprächsfetzen, die ich aufschnappen konnte, versprachen eine bessere neue Welt, die uns erwartet. Junge Menschen, die über Wochenmärkte sprechen, auf denen jeder Obst anbieten kann, dass er im eigenen Garten zuviel hat, Vegetarier, die sich über die Trinkwasserproblematik im Zusammenhang mit dem westlichen Avocadokonsum Gedanken machen, junge Frauen, die kein einziges Kleidungsstück am Körper tragen, das nicht selbst genäht ist. Die Liste lässt sich ewig fortsetzen. Ich denke, dass Menschen, die auf den Flowmarkt gehen sehr bewusst leben, ihre Umwelt und andere Kulturen respektieren und allem voran viel Wert auf Nachhaltigkeit legen – sonst wären sie wahrscheinlich eher an einem verkaufsoffenen Sonntag bei Primark anzutreffen und nicht in einem riesigen Selfmade-Kleiderhaufen…

Tätowieren auf dem Flowmarkt

Mitten drin der Buntspecht, also meine liebe Kollegin Jenny und ich mit unserem Tattooequipment. Es versteht sich von selbst, dass junge Städter in den meisten Fällen ein Faible für Tätowierungen haben. So konnten wir uns vor Kunden kaum retten.
Natürlich war der Tag äußerst anstrengend. Ich habe fast durchgehend tätowiert und Jenny, die mich bei allem organisatorischen unterstützt hat, wurde nicht müde, die immer gleichen Sätze zu wiederholen.
„Jedes Motiv aus der Mappe wird nur 1x tätowiert.“
„Wir fangen bei 80 Euro an.“
„Nein, 80, nicht 18.“
„Ja, wir machen echte Tätowierungen.“
„Nein, das sind keine Henna-Tätowierungen.“

Ich saß meistens tätowierend mit dem Rücken zum Publikum und konnte nur über die Ohren mitbekommen, was hinter mir an unserem Stand passierte.

Guter Flow

Die meisten Besucher waren hocherfreut, die Gelegenheit zu bekommen, sich spontan eine Tätowierung machen zu lassen. Zu meiner eigenen Freude bekam ich viel positive Resonanz auf meine Vorlagenmappe und auch Besucher, die sich nicht stechen ließen, lobten meine Entwürfe. Die Visitenkarten gingen weg wie geschnitten Brot – ich hatte Sorge, dass wir zu wenige mit hätten…
„Voll die coole Idee, hier zu tätowieren!“, diesen Satz hörten wir häufig und können ihn nur bestätigen. Es war mir eine wahre Freude einige meiner Wanna-Dos zu stechen und anderen einen lang gehegten Tattoowunsch erfüllen zu können, auf den sie sonst Monate hätten warten müssen.

Bad Vibes

Beim Tätowieren hatte ich ausschließlich sehr sympathische Kunden und es haben sich tolle Gespräche ergeben. Was vor dem Stand passierte, ließ mir jedoch manchmal die Nackenhaare zu Berge stehen. Ich habe nicht wenige Male gehört, wenn Besucher sagten: „Die fangen bei 80 Euro an, voll Wucher!“ oder „Geh besser zu XY, da bekommst du das gleiche Tattoo für 50 Euro.“ oder „Ist doch voll unhygienisch hier zu tätowieren.“
Leider saß die stets freundliche Jenny vorne, um mit den Kunden zu sprechen, ich hätte gerne ein bisschen für Aufklärung gesorgt, aber ich musste mich auf meine Tätowierungen konzentrieren. Aber dafür habe ich ja meinen Blog und ich möchte gerne erklären, warum wir solche „Wucherpreise“ aufrufen und warum es keinesfalls unhygienisch ist, auf einem Markt zu tätowieren.

Sind 80 Euro ein Wucher für eine lebenslange Tätowierung?

Ihr kennt meine Antwort auf diese Frage bereits… Ich sehe Tätowierungen als Körperschmuck an. Körperschmuck, den man nie wieder ablegen kann und der ein Leben lang hält. Solch ein Schmuck ist teuer! Es ist kein Modeschmuck aus dem Kaufhaus, es ist eine Investition für das ganze Leben und wer nicht bereit ist, dafür 80 Euro auszugeben, den kann ich nicht verstehen.
Auch und gerade kleine Tätowierungen erfordern ein Höchstmaß an Präzision und Können. In einem anderen Artikel habe ich bereits darüber berichtet.

Andere machen das doch auch für 50 Euro

Auf dem Flowmarkt war die Nachfrage nach kleinen Tätowierungen sehr hoch. Eine kleine Welle, die quasi nur aus einer Linie besteht, habe ich auch mit 80 Euro berechnet. Vielleicht oder besser ganz bestimmt gibt es Kollegen, die diese Welle für 50 Euro in der gleichen Qualität gestochen hätten. Es ist völlig legitim, dann diesen Kollegen aufzusuchen. Jeder Tätowierer macht seine Preise selbst und muss kalkulieren, wie er gut über die Runden kommt.
In meinem Fall ist es so, dass…

  • …ich Jenny bezahlen muss, die Informationen für die Besucher schneller und freundlicher übermitteln kann, als ich es alleine gekonnt hätte, während ich parallel tätowiere.
  • …wir Kartenzahlung angeboten haben, was auch bis auf zwei Ausnahmen alle Kunden in Anspruch genommen haben. Dadurch haben wir Abzüge vom Brutto UND müssen alles steuerlich geltend machen, auch wenn ihr keine Rechnung bekommen habt, auf der Mehrwertsteuer und Co. aufgelistet sind.
  • …ich jedes Motiv nur ein Mal tätowiere. Zumindest jene aus meiner Mappe. Die Zeit für das Zeichnen eines jeden Motivs ist also mit einkalkuliert.
  • Zum Buntspecht Tätowierungen ist ein etabliertes 1-Frau-Unternehmen. Wenn ihr eine Tätowierung von mir bekommt, könnt ihr sicher sein, mich immer in meinem Studio als Ansprechpartner anzutreffen. Wenn die Tätowierung in 1-2 Monaten nachgestochen werden soll oder ihr etwas erweitern wollt, bin ich für euch da. Günstigere Studios arbeiten häufig mit mehreren Tätowierern, die manchmal auch schnell wechseln und ihr findet euren Tätowierer nicht ohne großen Aufwand wieder. Oder der Tätowierer arbeitet „on the road“, muss kein eigenes Studio bezahlen und ist in ganz Deutschland unterwegs.

Dieser Text ist nicht als Rechtfertigung zu verstehen, ich möchte erklären, warum die Preise so sind, wie sie sind und warum ich es unfair finde, sie als „Wucherpreise“ zu bezeichnen.
Vor einigen Tagen guckte ich die Instastory einer Tätowiererin aus Bochum, die sich ebenfalls darüber wunderte, dass viele Kunden sich beschweren, dass Tätowierungen auf Messen und Ausstellungen eher teurer, als günstiger sind. Manche Kunden denken gar, dass Messen für uns Werbeveranstaltungen sind, auf denen wir Tätowierungen umsonst anbieten. Kein Selbstständiger, der nicht ein Großunternehmen im Hintergrund hat, kann es sich leisten, seine Dienstleistung umsonst auf einer Messe anzubieten.
Lest hierzu gerne auch meinen Artikel zu den Tattoopreisen und dem Stundenlohn von Tätowierern.

Voll unhygienisch, was die da machen

Ich hätte mich gefreut, wenn die Person, die das gesagt hat, mich direkt darauf angesprochen hätte. Zu gern hätte ich erfahren, welchen Teil meiner Arbeit auf dem Flowmarkt sie als unhygienisch empfunden hat. Der Arbeitsablauf war der gleiche, wie im Tattoostudio. Alle Arbeitsgegenstände wurden für jeden neuen Kunden in Folie eingepackt, die Arbeitsflächen wurden ebenfalls abgedeckt und nach jedem Tattoo mit den vorgeschriebenen Desinfektionsmitteln desinfiziert, ebenso meine Hände und die Haut des Kunden. Ich arbeitete mit Einwegcartriges, die ich in einem ordnungsgemäßen Abwurfbehälter entsorgte. Nach dem Stechen wurden die Tätowierungen in Folie verpackt, sodass der Kunde bei seinem weiteren Einkaufsbummel keine Bakterien einsammelt, die sich in die Wunde setzen können. Ich sehe hier keinen Fehler in der Hygienekette, unhygienisch geht anders.

Mein Gewerbeschein und die Erlaubnis des Gesundheitsamtes auf Messen und Ausstellungen zu tätowieren lag übrigens meiner Vorlagenmappe bei und war für jeden Besucher einsehbar.

Vielleicht sehen einige Kritiker die Sache nach diesem Artikel ein bisschen anders und alle, die ein Tattoo bekommen haben, sehen sich in ihrer Entscheidung ein weiteres Mal bestätigt – das würde mich sehr freuen!

Wiederholung gefällig?
Mein Fazit ist auf jeden Fall positiv – in Zukunft werde ich weitere Flowmärkte besuchen, um dort zu tätowieren. Die aktuellen Termine findet ihr immer auf meiner Homepage, auf Facebook und auf meinem Instagramaccount.

Wenn ihr mehr zum Flowmarkt erfahren wollt oder selber ausstellen wollt, schaut doch mal auf Facebook vorbei!

3 Kommentare

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Hey brauchtest du dafür eine Genehmigung oder ging das auch so?
Da ich nächsten Monat auch auf einem Event tätowieren werde.
Liebe Grüße

Hallo Rahel,
als ich den Artikel geschrieben habe, war noch keine Genehmigung notwendig. Im nächsten oder übernächsten Jahr war die Teilnahme durch das Gesundheitsamt nicht mehr erlaubt. Denen war der Weg von meinem Arbeitsplatz zum nächsten Waschbecken für das Händewaschen zu weit. Das entscheidet immer das Gesundheitsamt der jeweiligen Stadt oder Kommune. Viel Erfolg! 🙂
Liebe Grüße
Esther

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