Für viele Menschen, die über eine Tätowierung nachdenken, ist der Schmerz ein mächtiger Faktor in der Entscheidungsfindung und der Planung.
Viele haben große Angst vor den Schmerzen und davor, das Tattoo nicht durchzuhalten. Nicht wenige planen sogar die Platzierung der Tätowierung nach den vermeintlich schmerzärmsten Stellen.
Sowohl Tattoo-Neulinge, die den Schmerz nicht einschätzen können, als auch erfahrende Kunden, die negative Erfahrungen gemacht haben, suchen nach Möglichkeiten, den Schmerz zu umgehen.
Apotheken und das Internet bieten eine Reihe von frei verkäuflichen Betäubungssalben an. Warum diese Salben trotz gegenteiliger Werbeversprechen schädlich für dich und deine Tätowierung sein können, erfährst du in diesem Blogartikel.
Welche Betäubungssalben gibt es?
Emla®
Das bekannteste Mittel ist die Emla®-Salbe, die es in verschiedenen Tubengrößen in der Apotheke zu kaufen gibt. Die betäubenden Inhaltsstoffe sind Lidocain und Prilocain. Da Emla®-Salbe ein apothekenpflichtiges Arzneimittel ist, dürfen Tätowierer es nicht am Kunden anwenden. Lediglich der Kunde selbst darf nach erfolgter Beratung durch einen Arzt oder Apotheker die Salbe auftragen.
Da Emla® verhältnismäßig teuer ist und die Konzentration der betäubenden Inhaltsstoffe gering, haben sich Konkurrenzprodukte aus Fernost einen (nicht unbedingt legalen) Platz auf dem Markt der Betäubungssalben ergattert.
TKTX
TKTX ist das bekannteste Konkurrenzprodukt zu Emla®, welches damit wirbt, speziell für die Schmerzlinderung bei Tätowierungen konzipiert zu sein. TKTX enthält neben Lidocain noch Epinephrin (Adrenalin) in unbekannter Dosierung. Auch die enthaltene Menge an Lidocain ist nicht klar ersichtlich. Bei einem Blick auf die Liste der Inhaltsstoffe auf der Umverpackung der Salbe liest der Kunde zu meinem absoluten Entsetzen folgende Formulierung:
Ingredients:
Lidocaine (inkl. wechselnder Prozentangabe), Epinephrine (wieder wechselnde Prozentangabe), Cream Base (welche auch immer?!) AND SO ON
Ja, da steht tatsächlich „and so on“…
TKTX gibt es in verschiedenen Stärken. Angeblich soll die Dosierung des Lidocains variieren. Der Hersteller hat dafür Tuben in verschiedenen Farben auf den Markt gebracht, die die unterschiedlichen Stärken abbilden sollen.
Meinen Recherchen zufolge ist es jedoch eher Zufall, an welche Dosierung man gerät und der Lidocaingehalt der Salben ist teilweise höher, als es in Deutschland freiverkäuflich zulässig ist.
Eigene Salben
Eine weitere Möglichkeit, an die ich mich aus meiner Ausbildungszeit erinnere, ist das Bestellen eigener Betäubungssalben in der Apotheke. Wer einen Arzt oder eine Ärztin im Freundeskreis hat, lässt sich per Privatrezept eine Salbe mit dem gewünschten Anteil an Lidocain und/oder Prilocain in der Apotheke anmischen.
Wir funktionieren Betäubungssalben?
Die oben genannten Salben erfüllen ihren betäubenden Effekt nur bei richtiger Anwendung. Wenige Minuten vor Beginn der Sitzung aufgetragen, haben sie keine Wirkung.
Damit die betäubenden Inhaltsstoffe tief in die Haut eindringen und wirken können, sollte die Haut vor dem Auftragen rasiert und gereinigt werden. Manche Hersteller empfehlen, zuvor die Poren mittels feuchtwarmer Handtücher zu öffnen, damit die Salbe einwirken kann.
Nach der Vorbehandlung der Haut, wird die Salbe sehr dick aufgetragen und luftdicht mit einer Frischhaltefolie verschlossen. 60-120 Minuten Einwirkzeit sind nötig, um die betreffende Stelle schmerzfrei zu machen.
Der Verband aus Folie und Creme sollte erst kurz vor dem Tätowieren entfernt werden.
Erfahrungsgemäß ist die Hautstelle nun 20-60 Minuten betäubt.
Warum Betäubungssalben gefährlich sind
In meiner Beschreibung der Salbe von TKTX wird bereits deutlich, dass dieses Produkt nicht seriös, nicht wirklich legal und mit absoluter Vorsicht, am besten gar nicht zu verwenden ist.
TKTX ist aufgrund seiner Inhaltsstoffe ein Arzneimittel, hat aber in Deutschland keine Zulassung als Arzneimittel. Seine Anwendung ist mit hohen gesundheitlichen Risiken verbunden und es wundert mich sehr, dass wir dieses Produkt hier halblegal erwerben können.
Eine Betäubungssalbe mit Inhaltsstoffen wie in TKTX hat in Deutschland nicht ohne Grund eigentlich eine Apothekenpflicht (oder bei höherer Dosierung eine Rezeptpflicht).
Lidocain und Prilocain können allergische Reaktionen auslösen, die zum Tod führen können. Überdosierungen können tödlich enden. Es gibt einige Beispiele aus den USA, wo Menschen sich mittels Lidocain versehentlich selbst getötet haben. Trägt man besonders viel Salbe auf großflächige Hautareale auf, ist sowohl für den Laien, als auch für einen Arzt nicht einschätzbar, wieviel Wirkstoff vom Körper aufgenommen wird.
Doch damit nicht genug. Das in TKTX enthaltene Epinephrin hat Wechselwirkungen mit einigen Medikamenten und kann für Diabetiker gefährlich werden, da es den Blutzuckerspiegel beeinflusst. Man braucht nur mal Wechselwirkung oder Nebenwirkung von Epinephrin zu googeln, um festzustellen, dass es sich hier um ein wirklich gefährliches Produkt handelt. Meiner Meinung nach ist es grob fahrlässig, ein solches Produkt außerhalb von Apotheken zu verkaufen und zu bewerben.
Eine Überdosierung der Wirkstoffe von Betäubungssalben kann ebenso gefährlich werden, wie eine allergische Reaktion auf die Inhaltsstoffe oder Wechselwirkung mit anderen Medikamenten. Bitte kläre diese Faktoren unbedingt mit deinem Arzt ab, wenn du dich trotz dieses Artikels für die Anwendung von Betäubungssalben entscheidest.
Warum Betäubungssalben deinem Tattoo schaden können
Leider gibt es keine offiziellen Untersuchungen zu diesem Thema, die uns nachvollziehbare Beweise oder Erklärungen liefern könnten.
Ich kann in diesem Fall nur Thesen aufstellen und du kannst selbst entscheiden, ob diese Thesen deinem Erfahrungsschatz entsprechen oder ob dir Ergänzungen oder Widersprüche einfallen.
Blow-Outs durch Betäubungssalbe
Ich habe früher selbst mit Betäubungssalben gearbeitet. Genauer gesagt habe ich meinen Kundinnen gestattet, vor der Sitzung eine Schicht Emla® aufzutragen, um ein gewisses Maß an Schmerzfreiheit zu erzielen. Inzwischen mache ich das nicht mehr und weise meine Kunden darauf hin, dass ich sie nicht unter dem Einfluss betäubender Arzneimittel tätowiere.
Die Einsicht kam daher, dass viele Kolleginnen und Kollegen berichten, dass Tattoos verlaufen können und sich unschöne Blowouts bilden, wenn der Kunde zuvor eine betäubende Salbe verwendet hat.
Auch, wenn ich die Erfahrung selber nicht gemacht habe, möchte ich auf Nummer sicher gehen und dieses Risiko nicht in Kauf nehmen. Die oben genannten gesundheitlichen Risiken, die ich früher auch nicht kannte, eingeschlossen.
Eventuell ist das in TKTX enthaltene Epinephrin für das Verlaufen der Tattoofarbe verantwortlich. Epinephrin zieht die Blutgefäße zusammen und erhöht den Blutdruck. Es ist nicht auszuschließen, dass diese Wirkung auch Einfluss auf das Hautgewebe hat. Die Tatsache, dass die Blow-Outs häufig direkt nach dem Nachlassen der betäubenden Wirkung einsetzen, könnte darauf schließen lassen, dass die Wirkstoffe sich auf die Haut auswirken.
Schwammige und aufgeweichte Haut erschwert das Arbeiten
Viele Tätowierer berichten außerdem, dass die zuvor in Creme aufgeweichte Haut schwer tätowierter sei und den Arbeitsprozess verkompliziert. Der Folienverband mit Salbe verwandelt bei manchem Kunden die Haut in eine feuchte Schmrumpellandschaft, wie wir sie aus zu langen Badewannensitzungen kennen.
Fazit: Lass die Betäubung weg!
Falls du dir eine Tätowierung wünschst und große Angst vor den Schmerzen hast, kann ich dich nur eindringlich bitten, auf Betäubungen zu verzichten.
Es gibt andere Möglichkeiten, deinen Traum von einem Tattoo zu erfüllen.
Du könntest zum Beispiel ganz klein anfangen. Ein kleines Tattoo, an dem 30-60 Minuten gearbeitet wird, schafft wirklich jeder, versprochen! Wir haben es bei uns noch nie erlebt, dass jemand ein kleines Tattoo abgebrochen hat, weil der Schmerz nicht ertragbar war.
Ein weiterer wichtiger Tipp: lies dir keine Erfahrungsberichte zu Schmerzen beim Tätowieren im Internet durch. Es gibt so viele Faktoren, die Schmerzempfinden beeinflussen können. Der Bericht einer dir unbekannten Person ist nicht maßgeblich für dein eigenes Erlebnis.
Wenn du sehr schmerzempfindlich bist (so wie ich) empfehle ich dir, einen Tätowierer aufzusuchen, der mit einer hochwertigen Rotary-Maschine arbeitet. Klassische Spulenmaschinen tun manchmal stärker weh und sind außerdem sehr laut, was sich zusätzlich negativ auf dein Stresslevel auswirken kann.
Glaube keine Horrorgeschichte in Bezug auf Schmerzen, die länger als zehn Jahre zurück liegt. In den letzten Jahren hat sich die Tätowiertechnik sehr zum Positiven entwickelt und aus eigener Erfahrung kann ich dir sagen, dass Tattoos heute wesentlich weniger schmerzhaft sind, als noch vor zehn Jahren.
Betäubungssalben wirken auch bei hoher Dosierung und korrekter Anwendung maximal 60 Minuten. Da große Tattoos, die unvermeidbar Schmerzen mit sich bringen, sowieso länger dauern, kommst du um den Schmerz auch mit Betäubungssalbe nicht herum.
Ich rate dringend davon ab, jedwede Form von Betäubungssalbe nachträglich oder im Arbeitsprozess in die offene Tattoowunde zu cremen. Bei offener Haut ist die Dosierung noch schlechter abschätzbar und die Gefahr der Überdosierung dementsprechend höher!
Eine gute Vorbereitung auf den Tattootermin ist auch in Bezug auf die Schmerzen wichtig. Stelle sicher, dass du ausgeschlafen bist, genug gegessen hast und in einer guten körperlichen Verfassung bist. Mehr zum Thema Vorbereitung liest du hier.
Wenn du jetzt immer noch Angst vor den Schmerzen hast, schreibe mir gerne eine Mail oder schau mal bei uns in der offenen Spechtstunde vorbei. Bestimmt können wir dir gemeinsam deine schlimmsten Ängste nehmen.
Hast du noch Fragen, Anregungen oder Kritik zu diesem Thema?
Schreib mir gern in die Kommentare!
3 Kommentare
Kommentieren →Vielen Dank für Deine Aufklärung – auch ich wäre ein potentieller Kandidat für solche Salben / Cremes.
Wahrscheinlich hätte ich sie dann auch noch, aufgrund falscher Annahmen, falsch angewendet.
Von den Risiken und Nebenwirkungen, die Du aufzeigst mal ganz abgesehen.
Danke für die Transparenz!
Ich bin froh, auf eure Seiten gestoßen zu sein.
Vielen Dank für deinen Kommentar! Es freut mich, dass dir mein Artikel gefallen hat und ganz ehrlich: ich war auch ein Kandidat für diese Salben…
Ich bin ein sehr schmerz sensibler Kandidat, der die Lidogalen und die TKTX verwendet hat. Bei der Lidogalen größeres Tattoo, viele lang gezogene Linien, Oberschenkel Außenseite: null aber auch null Wirkung und Schmerzen 15 von 10. 4 Stunden und nicht fertig
TKTX bestellt, kleineres Tattoo, Hüfte schräg hinten, Schmerzen null (es hätte auch gereicht, wenn es nur schmerz reduzierter gewesen wäre).
Grosses Tattoo hat Ausschwemmungen aber das kleinere nicht. Würde gerne, aufgrund der Warnungen die EMLA probieren, allerdings hat diese ja wie die Lidogalen(4%) nur 5% und ich bin skeptisch wegen dem „Unfall“ des größeren Tattoos. Es sollen nämlich noch ein paar mehr werden.