Wer sich für Tätowierungen interessiert und sich auch tätowieren lässt, der ist häufig auch auf Pinterest unterwegs. Wer die Tattoobranche aufmerksam verfolgt, ist zwangsläufig schon über den Begriff „Copycats“ gestolpert. Was haben diese beiden Begriffe miteinander zu tun?
Pinterest ist eine Inspirationsplattform für alles, was Menschen in der 1. Welt interessiert. Tätowierungen, Illustrationen und Kunst boomen geradezu in diesem Medium. Jeder Nutzer kann sich eigene Pinnwände anlegen, auf denen er öffentlich oder geheim seine Lieblingsbilder speichern kann, um überall und jederzeit darauf zurück greifen zu können.
Copycats
Copycats ist ein Begriff, der in der Tattoobranche etabliert ist und häufig genutzt wird. Er bezeichnet Tätowierer, die Motive anderer Künstler „klauen“ und 1:1 übernehmen, um sie ihren Kunden zu tätowieren. Copycats ist also ein negativ behafteter Begriff, da der Urheberschutz ignoriert wird und der Tätowierer sich nicht die Mühe macht, einen eigenen Entwurf anzufertigen. Steckt also pure Faulheit hinter dem Phänomen Copycats?
Top 10 auf Pinterest – Top 10 der häufigsten Tattoos
Aber wie verhält es sich mit Kundenwünschen, die offensichtlich von den Top 10 Tattoo auf Pinterest oder Instagram inspiriert sind? Kein Tätowierer, der nach Kundenwunsch arbeitet, kann sich vor den aktuellen Trends retten oder diese gar vermeiden.
Ich möchte das auch gar nicht, da viele Trendtätowierungen sehr ästhetisch sein können und da man sich mit einer liebevollen Umsetzung derselben von anderen Tätowieren positiv abheben kann.
Trotzdem ist jeder Tätowierer irgendwann an dem Punkt angekommen, an dem man nach der 100. Pusteblume keine Kreativität mehr übrig hat, um sie das 101. Mal anders, toll und individuell zu gestalten.
Ich möchte mit diesem Artikel keine Lanze für „Copycats“ brechen oder den dreisten Motiv-Diebstahl einiger Tätowierer rechtfertigen. Ich möchte darauf aufmerksam machen, wie sich selbst verstärkende Algorithmen, denen auch dein Pinterest-Account unterliegt, jedwede Individualität töten kann.
Hier mal eine Liste meiner Top-Trend-Tattoos aus den letzten vier Jahren
Lilien mit schwarzen Schnörkeln
Pusteblumen
Pusteblumen, aus denen Vögel fliegen
Pusteblumen, aus denen Schmetterlinge fliegen
Pusteblumen, aus denen Buchstaben fliegen
Lotusblüten
Rosen
Unendlichkeitsschleifen
Taschenuhren
Kompasse
Schriftzüge, wie: Live, Laugh, Love oder Family
Hummeln
Kirschblüten
La Catrina Totenköpfe
Phönix
Federn
Federn, aus denen Vögel fliegen
…
Einige von diesen Tattoos steche ich immer noch gern. Andere treiben mir den kalten Schweiß auf die Stirn, weil ich nicht weiß, wie ich sie noch stechen soll, sodass sie sich von den hunderten anderer Tattoos mit gleichem Motiv unterscheiden. Ich möchte jedem Kunden gerecht werden und dazu zählt für mich auch, dass ich ihm ein individuelles Tattoo steche, dass ich liebevoll vorbereite.
Die Sache mit der Individualität
Auch wir Tätowierer müssen unsere Inspiration von irgendwo her speisen und häufig inspirieren auch wir uns auf Pinterest und Instagram. Wenn wir innerhalb eines halben Jahres die zwanzigste Unendlichkeitsschleife stechen müssen, die sich aber bitte von allen anderen 19 stark unterscheiden soll, ist das eine schwierige Aufgabe. Hier endet zwangsläufig bei jedem der kreative Fluss.
Kundenwünsche nach Pinterest Motiven
In diesem Zusammenhang muss ich auch auf die häufig schwierige Zusammenarbeit mit den Kunden hinweisen. Hat ein Kunde sein Traummotiv auf Pinterest gefunden, marschiert er damit höchst motiviert und voller Vorfreude zum Tätowierer seines Vertrauens.
Ernüchterung macht sich schnell breit, wenn dieser ihm dann erklärt, dass er das Wunschmotiv nicht 1:1 übernehmen wird, weil dies eine Urheberrechtsverletzung darstellen würde. Der Tätowierer bietet dem Kunden also an, dass Motiv umzuzeichnen und sich dabei an der Wunschvorlage zu orientieren.
Ich habe nicht selten erlebt, dass Kunden den Tränen nah waren, wenn ich ihnen erklärte, dass ich die fremde Zeichnung nicht tätowieren werde.
Schockverliebt in eine Fremdvorlage auf Pinterest
Beginnt man dann mit der Umzeichnung des Wunschmotivs, kann man sich in vielen Fällen schon sicher sein, dass der Kunde mit der angefertigten Vorlage nicht zufrieden sein wird. Warum? Weil sie sich in das eine Bild auf Pinterest verliebt haben und am neuen „Ersatzbild“ immer etwas finden, was sich vom Original unterscheidet und eigentlich möchten sie diese Unterscheidung ja nicht.
Tattoos „von der Stange“ – nein danke!
Viele Studios schmücken sich mit der Aussage, keine Tattoos „von der Stange“ oder aus Vorlagenmappen zu verwenden. So genannte Flashs, die jedem Kunden mehrfach tätowiert werden, wie es bis vor 10-15 Jahren noch völlig normal war, sind mittlerweile verpönt.
Seit ich vor 10 Jahren angefangen habe, zu tätowieren, beobachte ich jedoch, dass die Tätowierungen nicht unbedingt individueller und persönlicher werden – im Gegenteil!
Wer aufmerksam mitgedacht hat, dem fällt hier der Widerspruch schon auf. Einerseits lästert man über Studios, die Motive aus der Mappe anbieten, andererseits will jeder 3. Kunde eine Tätowierung, die er auf Pinterest gesehen hat.
Pinterest unterliegt, wie mittlerweile fast jedes Netzwerk im Internet, einem Algorithmus. Algorithmen haben die Eigenschaft, dass sie sich selbst verstärken. Hat der Algorithmus einmal gemerkt, was dem Nutzer gefällt, wird ihm nur noch selten Inspiration links oder rechts seines definierten Profils angezeigt. Der Tattookunde kommt absolut von Pinterest verwöhnt ins Tattoostudio und wundert sich, warum der Tätowierer nicht so gut versteht, was ihm gefällt. Pinterest kann das doch schließlich auch! In diesem Fall sind es quasi die Kunden, die den Tätowierer dazu zwingen, Motive zu kopieren.
Dreister Motivdiebstahl mit Anerkennung
In der vergangenen Woche ging ein Aufschrei durch die Tattoobranche. Auf der großen Dortmunder Tattooconvention hatte ein Tätowierer einen Tattoo-Wettbewerb gewonnen, der sich eines geklauten Motivs bedient hatte. Aufmerksame Tattoo-Fans erkannten die Vorlage einer berühmten Tätowieren aus den USA und entlarvten den Hamburger Tätowierer als „Copycat“. Viele forderten die Aberkennung der Platzierung und des Preises, was aber laut Aussage der Jury nicht ohne Weiteres möglich sei. Auf Instagram zeigte sich die bestohlene Tätowiererin entsetzt und traurig über diese Umstände. Sie hatte ihre Zeichnungen auf Pinterest hochgeladen und damit bewirkt, dass viele sich ihrer Zeichnungen bedienten und Geld und Anerkennung mit ihrer Arbeit generierten.
Pinterest ist keine Selbstbedienungsplattform
Der beschuldigte Tätowierer rechtfertigte sich mit der Aussage, einen „Pick Sketch“ von Instagram für die Tätowierung benutzt zu haben und war sich keines Fehlers bewusst. Mal von der Tatsache abgesehen, dass ein guter Tätowierer sich eigentlich schon aus dem eigenen Stolz und den selbst gestellten Ansprüchen heraus an den Zeichentisch setzen und selbst kreativ werden sollte, muss man sich an dieser Stelle fragen: Wissen viele wirklich nichts über den Urheberschutz und die Funktionsweise von Pinterest?
Pinterest ist genau so eine Werbeplattform, wie Instagram und Facebook. Mit dem einzigen Unterschied, dass man durch einen Klick auf das Bild direkt auf eine Homepage weitergeleitet wird. Daher wundert es nicht, dass viele Tätowierer Wanna-Dos und Zeichnungen posten, um ihren Bekanntheitsgrad zu steigern.
Poste deine Zeichnung auf Pinterest und sie ist für immer verloren
Vorige Woche las ich in einer Instagram-Story den Satz eines Tätowierers, dem ähnliches passiert ist. Er kostete die geklaute Zeichnung in seiner Story und schrieb darunter: „Once a drawing is on Pinterest, it’s lost – forever.“ Seine Zeichnung war von mehreren Tätowierern heruntergeladen und als eigenes Wanna-Do angepriesen worden.
Dieses Vorgehen ist strafbar, da es eine Urheberrechtsverletzung darstellt.
Urheberrecht auf Pinterest für Zeichnungen und Fotos
Wer Zeichnungen von Pinterest runter lädt und diese tätowiert oder anderweitig veräußert, macht sich einer Urheberrechtsverletzung strafbar.
Das Urheberrecht erlischt nicht, wenn ein Künstler das Bild auf Pinterest hoch lädt.
Ich sprach darüber mit dem Kreativ-Anwalt Sebastian Deubelli und er macht mich darauf aufmerksam, dass auch das Verwenden von Fotovorlagen für realistische Tätowierungen und Blumen-Referenzen dem Urheberrecht zugrunde liegen. Streng genommen, muss man sich bei dem Fotografen des gewünschten Bildes die Nutzungsrechte kaufen, um damit arbeiten zu dürfen.
Das ist natürlich nahezu unmöglich, da nur selten einem Foto ein Fotograf zuzuordnen ist. Sollte man Selbigen doch ausfindig machen können, wären die Nutzungsrechte wahrscheinlich so teuer, dass der Kunde nicht bereit oder nicht in der Lage ist, diese zusätzlich zum Tattoopreis zu bezahlen.
Auf der sicheren Seite ist man als Tätowierer also nur, wenn man seine Fotos selbst anfertigt oder die Fotovorlage vorab abzeichnet und minimal verändert, sodass eine Neuschöpfung entsteht.
Wie kann ich mich vor Diebstahl auf Pinterest schützen?
Die sicherste Variante ist die Verwendung eines Wasserzeichens mit dem eigenen Logo, welches dezent einen Teil des Bildes verdeckt, die Wirkung der Zeichnung oder Fotografie nicht schmälert. Natürlich schützen auch Wasserzeichen nicht vor Diebstahl. Jedoch verringert es die Wahrscheinlichkeit, dass ein anderer Tätowierer das Bild auf seiner Seite postet und es als eigene Arbeit anpreist.
Hegt man den Verdacht, dass die eigene Arbeit einen Nerv trifft, Viral geht und kopiert wurde, kann man die Google-Rückwärtssuche benutzen, um das eigene Bild wieder zu finden. Dazu ruft man im Browser die Google-Bildersuche auf und zieht die eigene Bilddatei in das Google-Suchfeld. Sollte das eigene Bild von anderen auf Pinterest oder der Homepage genutzt werden, wird Google es in den Ergebnissen auflisten. Mittlerweile gibt es auch Anwälte und andere Dienstleister, die die Suche für ihre Kunden übernehmen. Da ich nicht weiß, wie viel Geld man vor Gericht für einen Urheberrechtsstreit bekommen kann, weiß ich nicht, ob sich dieses Vorgehen finanziell rentiert.
Wie erkenne ich, ob die Zeichnungen meines Tätowierers echt sind?
Auf den Online-Kanälen der Tätowierer kann man mit ein bisschen Übung rasch erkennen, ob es sich um die eigene Zeichnung des Tätowierers handelt oder um einen dreisten Diebstahl. Vergleicht man die Zeichnungen untereinander, sollte man einen einheitlichen Stil erkennen. Die meisten Tätowierer arbeiten mit den immer gleichen Zeichenutensilien. Der eine postet ausschließlich Bleistiftzeichnungen, der nächste arbeitet am liebsten digital. Manche schattieren und kolorieren ihre Zeichnungen aufwendig, bevor sie sie online stellen, andere posten Skizzen auf Transparentpapier. Ein einheitliches Erscheinungsbild gibt dem Kunden die Sicherheit, dass diese Zeichnung tatsächlich vom Tätowierer angefertigt wurde.
Misstrauisch werden sollte man, wenn der Tätowierer sehr unterschiedliche Bilder postet. Damit meine ich nicht die Motive, sondern wenn sich Stil und Technik stark unterscheiden, sodass man geneigt ist, zu denken: Der kann ja scheinbar alles! Bei den bekannten Coypcats reihen sich gruselige dunkle Tötenköpfe ein in zarte Watercolor-Kirschblüten. Daneben erscheinen fein linierte geometrische Tierdarstellungen und bunte Oldschool-Leuchttürme mit starken Linien. Sind diese Vorlagen auch noch mit unterschiedlichen Materialien angefertigt, auf unterschiedlichem Papier und unterscheidet sich auch noch die Art, wie sie fotografiert werden, handelt es sich sehr wahrscheinlich nicht um geistiges Eigentum des Tätowierers. Manche sind gar so dreist, Signaturen und Unterschriften mit Emojis oder Filtern abzudecken, um ihren Diebstahl zu verschleiern.
Am besten lässt man sich vor Ort Originalzeichnungen des Tätowierers zeigen, dann erkennt man schnell, welchen Stil und in welcher Qualität der Tätowierer arbeitet.
Die wenigsten Kunden möchten, dass ihr Motiv gestohlen und kopiert wird, ebenso wie die Tätowierer, die viel Zeit und Herzblut in individuelle Kundenzeichnungen investieren.
Wir sollten uns gegenseitig unterstützen, die Einzigartigkeit jedes Künstlers respektieren und natürlich Bilddiebstahl öffentlich machen. Auch finde ich es nur fair und unabdingbar, den Kunden darauf hinzuweisen, wenn er sich ein sehr „virales“ Motiv ausgesucht hat, dass schon hunderte Male zuvor kopiert und tätowiert wurde. Als Kunde sollte man seinen Tätowierer nicht bedrängen, eine geklaute Vorlage zu übernehmen.
Habt ihr solche Erfahrungen schon mal gemacht? Überrascht euch der Artikel, weil euch diese Problematik neu ist? Dann schreibt es gerne in die Kommentare! Für konstruktive Anregungen und Hinweise, könnt ihr mir natürlich auch eine Email schreiben.
3 Kommentare
Kommentieren →[…] ungeschriebenes Gesetz, nicht die Bilder anderer nachzuahmen und ein geschriebenes Gesetz namens Urheberrecht, dass man keine Bilder 1:1 übernehmen […]
[…] du zur Mehrzahl der unschlüssigen Tattookunden gehörst, die gefühlt Pinterest, Facebook und Co. schon auswendig kennen, nimm bewusst Abstand von diesen Inspirationen. Natürlich […]
[…] gibt es noch unzählige weitere Varianten, wer noch nicht genug hat, kann sie alle bei Pinterest […]