Traumberuf Tätowierer?

Viele kreative junge Menschen träumen davon, Tätowierer zu werden. Die Medien gaukeln uns viele verlockende Klischees rund um diesen Beruf vor. Mit einigen möchte ich heute aufräumen.
Ein Tätowierer ist in erster Linie Dienstleister. Das Klischee vom coolen, reichen Szenetätowierer, der innerhalb von 10 Minuten Vorlagen anfertigt, die alle Kunden aus den Socken haut und der den halben Tag in fetten Autos rum fährt oder Angeln geht, erfüllen geschätzt 0,2% aller Tätowierer weltweit.

Jenny und ich in unserer Freizeit

 

 Tätowierer ist ein harter Beruf, der ordentlich auf Körper und Psyche geht.

„Hey, na wie gehts?“ – „Ach heute eher bescheiden, montags komm‘ ich nicht klar“
Hast du das schon mal von deinem Tätowierer oder deiner Tätowiererin gehört? Natürlich nicht! Ein Tätowierer kann sich keine „schlechten Tage“ im Alltag erlauben, an denen er unmotiviert oder nicht ganz fit an die Arbeit geht.

Als Tätowierer trägt man eine vergleichbar hohe Verantwortung während der Arbeit, wie ein Schönheitschirurg. Jeder Fehler kann das äußerliche Erscheinungsbild des Kunden ruinieren oder im schlimmsten Fall lebensgefährlich sein, wenn in der Hygienekette ein Fehler passiert.

Viele Tätowierer scheiden noch vor Renteneintrittsalter durch Berufsunfähigkeit aus dem Arbeitsleben aus. Hauptursachen für eine typische Berufsunfähigkeit sind Rückenleiden sowie Burn-Out Erkrankungen oder aber psychische Belastungsstörungen.

Meine ersten Versuche

Schon immer sind die Wege, in diesen Beruf zu kommen vielfältig.

Dadurch, dass der Beruf nicht staatlich anerkannt ist und es keine Berufszugangsregelung gibt, muss jeder Tätowierer sich sein Wissen hart erarbeiten. Nicht wenige Tätowierer haben sich alles, was sie wissen selbst beigebracht. Dementsprechend sind sie (zu Recht) geizig, was das Herausgeben von Informationen an Dritte betrifft.

Hat man ein Studio gefunden, deren Inhaber bereit sind, einen Auszubildenden aufzunehmen, kann man sich glücklich schätzen. Meistens verlangen die Tattoostudios eine Ausbildungsvergütung. Man wird also während der Ausbildung nicht bezahlt, sondern wird für das Erlernte zur Kasse gebeten. Es gibt auch kaum brauchbare Tutorials oder Videos im Internet, Fachliteratur sucht man ebenfalls vergeblich.

Um  entspannt durch den Alltag zu kommen, ist ein ausreichendes Einkommen unabdingbar.

Um Überleben zu können, sollte ein Tätowierer einen Stundenlohn von mindestens 80-120 Euro kalkulieren. Zu glauben, dass man innerhalb weniger Monate mit einer Selbstständigkeit steinreich werden kann ist ein großer Fehler. Es dauert einige Jahre, sich einen zahlungswilligen und treuen Kundenstamm aufzubauen.

Seit der Corona-Pandemie und dem Angriffskrieg gegen die Ukraine ist unser aller Leben teurer geworden. Dazu kommt, dass es immer mehr Tattoostudios gibt. Es ist heute nicht mehr so einfach, wie vor zehn Jahren, genügend Kundschaft zu finden.

Nicht immer darf der Tätowierer alles selbst entscheiden

Der Tätowierer ist oft mehr Dienstleister, als Künstler

…du hast ein Studio oder arbeitest als Angestellter oder Freiberufler in einem gut laufenden Studio.
Nun kannst du dich frei ausleben und künstlerisch verwirklichen, oder?
Falsch gedacht, wie schon erwähnt, ist der Tätowierer ein Dienstleister, das heißt, er erfüllt in erster Linie Kundenwünsche und die entsprechen häufig nicht dem eigenen Geschmack.
Die meisten Kunden haben sehr genaue Vorstellungen, wie ihr Tattoo aussehen soll und daran muss der Tätowierer sich auch halten.

Es kommen Motive, die sich unendlich oft wiederholen. Die immer gleichen Blumen und römische Zahlen werden am Anfang dein tägliches Brot finanzieren, wenn du verstanden hast, was deine Kunden wollen.

Manchmal wollen gefühlt alle Kund*innen das gleiche Tattoo. Zum Beispiel bei Mandalas. hier ein Beispiel unserer Kollegin Annika

Kommunikation mit den Kund*innen

Ein besonders hartes Learning war für mich in den ersten Jahren das Thema Kundenkommunikation.
Ich habe beispielhaft einen Originalauschnitt aus einer Kundenanfrage. Solche Mails sind keine Seltenheit:

„Halloechen liebes  ? Ich hab eine bitte an dich kannst du dir was cooles Rueckentattoo ich haette es gerne bund nur ich weis nicht welches . Eigentlich habe ich null vorstellung ich weis nur nichts kleines was schoenes großen. Vllt faellt dir ja was ein“

Pro Woche verbringt man in diesem Beruf mehrere Stunden mit der Kundenkommunikation per Mail, Telefon oder in anderen Messengern. Das kann sehr anstrengend sein.

Nebentätigkeiten meines Traumberufs

An dieser Stelle möchte ich auch nicht unerwähnt lassen, wie viel Zeit man mit Nebentätigkeiten verbringt. Reinigungsarbeiten, Dokumentation der Hygiene, Buchhaltung, Steuererklärung, Materialeinkauf, Werbung, Social Media, die Liste ist endlos.

Bei Portraittattoos gibt es manchmal kreativen Spielraum beim Beiwerk

 Aber natürlich gibt es auch positive Seiten an meinem Beruf

Im Kontakt mit neuen Bekanntschaften, hat man immer ein Gesprächsthema. Viele finden den Beruf spannend und haben viele Fragen.

Außerdem kann man sich die Arbeitszeiten fast frei wählen und auch so viel Urlaub machen, wie das eigene Geschäft es zulässt.


Beim Tätowieren entsteht oft sehr schnell eine sehr persönliche Ebene. Manche Kund*innen und Gasttätowiererinnen sind mir im Laufe der Zeit so ans Herz gewachsen, dass es mich fast Überwindung kostet, ihnen am Ende des Tages eine Rechnung zu stellen. Außerdem ist es ein unglaubliches Gefühl, wenn die Kunden mit der Arbeit zufrieden sind.
Manchmal erlebt man es gar, dass sie Tränen in den Augen haben, wenn sie ihr frisches Tattoo im Spiegel anschauen.

Ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass ich mir keinen schöneren Beruf vorstellen kann, trotz aller Widrigkeiten, die hier viel Raum im Artikel einnehmen. Die zahlreichen negativen Facetten lassen sich mit Worten einfach besser beschreiben, als das gute Gefühl, dass dieser Beruf einem am Ende eines guten Arbeitstages gibt.

Habt ihr noch Fragen zu diesem Thema? Schreibt sie gern in die Kommentare!

1 Kommentar

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Liebe Esther!

Ich bin gerade in Ausbildung und finde deinen Artikel wirklich, wirklich toll!
Hier in Wien ist es schwierig, wenn nicht fast unmöglich, einen Ausbildungsplatz in einem Studio zu finden; im Wienerischen gibt es das Wort „Freundlwirtschaft“, und das trifft auch hier zu. Es wird aufgenommen, wen man schon kennt 🙂 daher habe ich mich entschieden, eine Tattooakademie zu bezahlen, um mich auszubilden! Auch ein Weg, und ich bin wahnsinnig zufrieden!
Danke für deinen Blog :3 Ich sauge das Wissen gerade auf wie ein Schwämmchen

mit viel Liebe,
Kathryn

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