Das Farbenverbot und die bunten Tattoos

Jede*r Tätowierer*in wird mir zustimmen, wenn ich diesen Artikel mit den Worten einleite: Niemand, aber auch wirklich niemand von uns hat sich vor wenigen Jahren ansatzweise vorstellen können, wie viele existenzbedrohende Regulationen von außen wir in kürzester Zeit erfahren müssen.

Als wären drei oder mehr Berufsverbote, auch Lockdowns genannt, nicht schon schlimm genug, erscheint für die meisten von uns völlig unvorhergesehen ein drohendes Verbot von Tattoofarben auf den Bildschirmen.

Solche bunten Schmetterlinge sind der EU ein Dorn im Auge

Woher kommt das Verbot?

Die ECHA ist schlicht gesagt eine europäische Aufsichtsbehörde für chemische Produkte. Viele Sachen aus unserem Alltag sind von der ECHA reguliert und überwacht, beispielsweise Filzstifte oder Haarfarben. Aufgabe der ECHA ist es unter anderem, die Bürger*innen in der EU vor gesundheitsgefährdenden Inhaltsstoffen in Dingen des täglichen oder nicht alltäglichen Gebrauchs zu schützen.

Vor wenigen Jahren ist der ECHA aufgefallen, dass es in der EU fast gar keine Überwachung der Tätowiermittel gibt. Wir importieren Farben aus dem EU-Ausland und verlassen uns darauf, dass dort alles clean und für den sensiblen europäischen Körper passend zusammengerührt ist. Mit einer Ausnahme: in Deutschland gibt es seit 2008 eine Verordnung für die Zulassung von Tätowiermitteln. Das ist die Resap. Wer von euch also bisher in Deutschland tätowiert wurde, hat entgegen der vielen aktuellen Meldungen der Boulevardpresse keine völlig fremden und nie gesehenen Stoffe im Körper. Tätowiermittel, die in Deutschland verwendet werden, unterliegen seit 2008 regelmäßigen Sicherheitskontrollen durch unabhängige Labore. Diese kann man auch anschreiben und selbst Farben auf Unbedenklichkeit testen lassen.

REACH steht für Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals‚ Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien

Wikipedia

Da Deutschland hier jedoch eine Ausnahme darstellt, hat die ECHA mit der sogenannten Tattoo-REACH (umgangssprachlich nur „REACH“ genannt) eine übergeordnete Farbmittelverordnung erlassen, der sich alle EU-Mitgliedsstaaten beugen müssen. Leider ist die ECHA dabei etwas über das Ziel hinaus geschossen, aber das ist nur meine persönliche Meinung. Bitte beachte an der Stelle, dass ich lediglich über 14 Jahre Tätowiererfahrung verfüge, jedoch weder Chemikerin noch EU-Abgeordnete bin. Meiner Ansicht nach, ist die Verordnung mit der heißen Nadel gestrickt, missachtet die jahrzehntelange positive Erfahrung mit den Farben und befeuert einen risikoreichen Schwarzmarkt.

Bitte lies zu den Risiken, die mit REACH einhergehen auch die Statements wirklicher Experten auf savethepigments.com

Welche Farben sind betroffen?

Entgegen aller Gerüchte betrifft die neue Verordnung ALLE Tätowierfarben, da es im ersten Schritt nicht um die Pigmente in den Farben geht, sondern um alle anderen Stoffe. Reguliert wurden ab dem 04.01.2022 alle Stoffe, die die Pigmente haltbar, flüssig, geschmeidig, strahlend und nutzbar machen. Bisher (heute ist der 17.01.2022) gibt es meines Wissens nach nur 2-3 Hersteller, die es geschafft haben, ein Schwarz als Tätowiermittel auf den Markt zu bringen, welches der REACH-Verordnung Genüge tut.

Alte und frische Tattoos in einem Bild

Woher kam dann der Wirbel um Blau und Grün?

Blau und Grün werden die Tattooszene im nächsten Jahr nochmal aufwirbeln. Dann greift ein weiterer Schritt in der REACH-Verordnung, nämlich das Verbot zur Nutzung zweier Pigmente in Blau (Blue15) und Grün (Green7). In diesem Fall fehlt ein Sicherheitsdatenblatt, welches die Unbedenklichkeit der beiden Pigmente belegt. Sicherheitsdatenblätter werden von der Branche, die sie braucht in Auftrag gegeben und kosten eine Menge Geld. Bisher hat die Kosmetikbranche die Datenblätter für Blau und Grün gekauft. Da diese jedoch keine Verwendung mehr für die Pigmente hat, bestellt sie keine Datenblätter mehr nach. Solltest du blaue oder grüne Farbe in deiner Haut tragen, musst du also jetzt nicht in Panik geraten und mit dem Bestatter deines Vertrauens in die Planung gehen. Diese beiden Pigmente sind ungefährlich und haben das durch jahrzehntelange Verwendung im Kosmetik- und Tätowierbereich bewiesen. 

Falls du dich jetzt fragst, warum die Tattoobranche nicht einfach die Sicherheitsdatenblätter kauft – das frage ich mich auch.

Ab wann und wie lange sind bunte Tattoos verboten?

Die REACH-Verordnung ist am 04.01.2022 in Kraft getreten und verbietet ab diesem Moment den Einkauf, die Lagerung und den Einsatz der oben beschriebenen Tätowiermittel. Ab 2023 folgen dann die Pigmente Blau und Grün. Einige Hersteller haben bereits angekündigt, dass es bald neue bunte Tätowierfarben zu kaufen gibt, die der REACH-Verordnung entsprechen. Wir konnten diese auch schon bestellen, sie wurden jedoch noch nicht geliefert.

Bitte unterschreibe, falls noch nicht geschehen, auch die Petition zum Erhalt der Pigmente Blau und Grün!

https://www.savethepigments.com

Was passiert, wenn ich mich nicht an das Verbot halte?

Es gibt so viele unterschiedliche Informationen und Antworten auf diese Frage, dass ich vermute, dass wir einen Präzedenzfall brauchen, um sie zu beantworten. Ich bin mir relativ sicher, dass niemand von uns ins Gefängnis gehen muss, nur weil er/sie eine Flasche rote Tattoofarbe im Regal stehen hat. Falls doch, wird es ziemlich voll im Knast. Ich kann mir nicht vorstellen, dass alle Kolleg*innen, die jetzt vorbildlich ausschließlich schwarze Tattoos posten, ein Fläschchen der stark limitierten zugelassenen Farben bekommen haben, die seit Monaten ausverkauft sind…

Anders sieht es sicher für die Supplier aus. Das sind die Händler, von denen wir unsere Farben beziehen. Wenn diese mit den verbotenen Stoffen handeln und sie uns als Verbraucher zugänglich machen, drohen mit Sicherheit höhere Strafen. 

Wie wird es weiter gehen?

Meine Glaskugel besagt, dass es sehr bald neue Farben zu kaufen gibt und die Aufregung um dieses Thema sich legen wird. Zum Beginn des neuen Jahres wird die Aufregung dann wieder groß sein, wenn Blau und Grün erneut (hoffentlich temporär) aus der Farbpalette verschwinden.

Momentan gibt es auch große Unsicherheiten in Bezug auf die Ankündigung der neuen und zugelassenen Farben. Es gibt Gerüchte, diese seien gar nicht REACH-Konform, es fehlten Sicherheitsdatenblätter und die Etikettierung sei falsch. Ehrlicherweise werde ich es handhaben, wie ich es schon immer getan habe: ich werde Farben im EU-Inland einkaufen, mir die Sicherheitsdatenblätter runterladen und im Zweifel ein deutsches Labor kontaktieren und zu den Farben meiner Wahl befragen. 

Leider müssen wir auch die Preise erhöhen. Die neuen Farben sind signifikant teurer und das schlägt sich im Tattoopreis nieder. 

Update

Inzwischen haben wir neue Farben geliefert bekommen, die wir innerhalb der EU gekauft haben und für die es auch Sicherheitsdatenblätter in deutscher Sprache zum Download gibt. Diese Faktoren zusammen mit einer korrekten Etikettierung der Farbflaschen bilden unter anderem die Grundlage für die Erfüllung der REACH-Konformität. Wir haben die neuen Farben getestet, erfahre bald hier, wie es lief!

2 Kommentare

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Hallo Marcel,
Danke der Nachfrage, wir finden die neuen Farben spitze! Nicht wenige Farbtöne sind in der Verarbeitung und Abheilung besser, als die alten Farben.
Liebe Grüße
Esther

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